Volledige werken. Deel 13. Brieven en dokumenten uit de jaren 1868-1869
(1980)– Multatuli– Auteursrechtelijk beschermd[22 oktober 1868
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Ein politischer roman aus dem Niederländischen Indien.Vor etlichen Jahren wurde von einem Holländer unter dem Namen Multatuli ein Roman geschrieben, der die Schattenseiten der indischen Colonialregierung ähnlich offenbarte wie vor Zeiten ‘Onkel Toms Hütte’ die Gräuel der Negerslaverei in den Vereinigten Staaten. Es mag vielleicht auffallen daß alle Angriffe gegen die Zustände in Hollandisch Indien das Gewand der Erzählung anlegen. Allein die niederländischen Schriftsteller sind gezwungen zu amüsiren, wenn sie belehren wollen. Das ostasiatische Indien wird in Holland von Holländern regiert welche es größtentheils nicht kennen, und die zu träge sind um sich näher zu unterrichten. Folglich muß ihnen die Pille überzuckert werden. Der Verfasser jenes Romans hieß Eduard Douwes Dekker, und hatte siebzehn Jahre in Indien, zuletzt in der angesehenen Stellung eines Unterresidenten, die wir noch sehr genau kennen lernen werden, gedient. Er begieng die Unvorsichtigkeit sein Verlagsrecht auf das Buch völlig zu verkaufen, und es scheint daß nur wenige holländische Exemplare entschlüpften, die übrigen aber vernichtet wurden. Genug, das Buch existirt holländisch nicht oder nicht mehr, es ist aber jetzt nach der Urschrift eine englische Uebersetzung von Baron Alphonse Nahuys besorgt werden.Ga naar voetnoot* Der Verfas- | |
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ser erzählt darin seine eigenen Erlebnisse mit anziehender Lebendigkeit und glücklichem Humor. Nie sind seine Angaben widerlegt worden, er hat sogar 1863 auf dem Amsterdamer internationalen Congreß für Staatswirtschaft alle seine Landsleute herausgefordert ihn irgendeiner Unwahrheit oder Uebertreibung zu überführen, aber niemand hat sich gemeldet. Baron van Hoëvell, ein wohlbekannter Schriftsteller über Holländisch Indien, hatte den indischen Ex-Statthalter van Twist über jene Angaben zur Rede gestellt, dieser aber nur erwiedert: er möchte wohl Max Havelaars Erzählungen widerlegen können, aber es diene nicht seinen Interessen. Es scheint also daß gegen die Reinheit des Weins der uns hier geschenkt wird, nichts einzuwenden sey; übrigens mag man selbst urtheilen, da die Thatsachen mit Klarheit und innerer Wahrheit für sich sprechen. Nur die äußerliche Form ist die eines Romans, im Grunde erhalten wir nur Selbsterlebtes aus der Laufbahn eines indischen Beamten, wie wir es in gedrängter Kürze folgen lassen.
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In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrzehnts, etwa 1856, sollte ein neuer Unterresident für den Kreis Lebak (im Osten Java's) eingesetzt werden. An dem Tage wo er erwartet wurde, sammelte sich an der Gränze zum nächsten Kreis eine Schaar von einheimischen Häuptlingen zur Begrüßung des neuen Oberhaupts. Javanische Diener erbauten eiligst ein Bendoppo aus sechs Bambusstangen, die, in den Boden gesenkt, oben domartig mit den Spitzen zusammengebunden und mit Blättern zum Schutz gegen die Sonne gedeckt wurden. In dieser Laube (Bendoppo) erwarteten die Ankunft des Unterresidenten der Radin Adhipatti (Fürst oder Radschah) von Lebak, Namens Karta Natta Negara, und der holländische Schatzbeamte Verbrugge. Der Adhipatti war nähmlich nach holländischer Sprechweise ‘Regent’ von Lebak. Um zu verstehen was damit gemeint sey, müssen wir im voraus bemerken daß der unumschränkte Gebieter Indiens und seiner 30 Millionen Völker der jeweilige Generalgouverneur ist. Zwar steht ihm ein Senat zur Seite, aber nur als Berathungsausschuß. An der Spitze der verschiedenen Verwaltungszweige in Batavia gebietet ein Director, durch den der amtliche Verkehr des Oberhaupts mit den ‘Residenten’ geht. Der Name Resident hat völlig seinen Sinn verloren. Ehemals nämlich trat Holland | |
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nur als Schutzmacht der kleinen javanischen Fürsten, seiner Vasallen, auf, und es gibt deren noch einige wie die ‘Kaiser’ in Solo und in Dschokschokarta. Der Resident war ursprünglich ein Botschafter der Schutzmacht bei dem Vasallenfürsten, dann mehr und mehr der Gewalthaber, dessen Befehle der Fürst auszuführen hatte, genau wie es in Britisch Indien noch jetzt mit den sogenannten einheimischen Schattenfürsten und den dortigen Residenten der Fall ist. Als die Vasallen beseitigt wurden, ließ man den Titel Resident für den höchsten Beamten einer Provinz fortbestehen, unter denen wieder ‘Hülfsresidenten’ oder Unterresidenten die einzelnen Kreise verwalteten. Ein solcher Unterresident wurde also für den Kreis Lebak von dem javanischen ‘Regenten’ erwartet. Ein Regent ist stets ein Eingeborner. und nichts anderes als der ehemalige Vasallenfürst, nur mit dem Unterschied daß der Regent vom Statthalter eingesetzt, abgesetzt und bezahlt wird. Man sieht sehr leicht ein daß es für die Holländer viel bequemer ist die Javanen durch ihre javanischen Creaturen regieren zu lassen, als dieß selbst zu thun. Da eine Residentschaft durchschnittlich eine Million Köpfe zählt und in drei, vier bis fünf Unterresidentschaften zerfällt, so gleichen die letzteren etwa einem mittleren Schweizer-Kanton in statistischen Werth. Die Regenten werden stets unter dem javanischen Adel ausgewählt, und wenn man mit ihnen zufrieden ist, wird ihnen noch bei Lebzeiten die Zusicherung zu theil daß ihr Sohn in das Amt nachfolgen soll. Selbst wenn man von dieser Regel abweicht, fällt die Wahl immer wieder auf ein Mitglied derselben Familie. Ein Regent stellt im Grunde nur das javanische Mundstück für die Befehle des holländischen Unterresidenten vor. Dieser gebietet ihm Bericht zu erstatten, Arbeiter für Straßen- und Brückenbau zu stellen, Steuern einzuheben, vor dem versammelten Rath zu erscheinen, und dort vielleicht wegen Pflichtvernachlässigung Verweise zu empfangen. Andrerseits wird aber der Unterresident völlig durch die gesellschaftliche Stellung des Regenten verdunkelt. Der niederländische Beamte führt selten einen glänzenden Namen, der Regent dagegen ist meist ein Tommongong, ein Adhipatti oder ein Pangerang, ein Herzog, Fürst oder Markgraf nach javanischen Begriffen. Der Beamte bezieht einen Gehalt der eben nur ausreicht, und bisweilen nicht ausreicht um den Haushalt in einem kleinen Landhaus zu bestreiten; der Regent dagegen wird sehr hoch besoldet, und er lebt in einem Kratun oder Palast | |
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mit einer Mehrzahl von Gemahlinnen sowie Dienerinnen, und wo er sich zeigt, umgibt ihn ein zahlreiches Gefolge, je nach seinem Einkommen, was bei manchem Regenten bis zu 2-300,000 fl. steigt. Dieses besteht zunächst in einer monatlichen Löhnung aus dem Colonialschatz, dann aus Jahresgehalten für früher abgetretene Fürstenrechte, ferner aus Prämien für Kaffee, Zucker, Indigo, Zimmet u.s.w., die in der Regentschaft erzeugt werden; endlich in den Robotpflichten der Unterthanen. Eigenthümer des Grund und Bodens mit wenigen örtlichen Ausnahmen ist, wie überhaupt im Morgenland, der Monarch, also der König von Holland. Die indische Regierung nun befiehlt den javanischen Landleuten welche Erzeugnisse sie in einem gewissen Gebiet zu bauen haben, sie bestraft jeden der solche Erzeugnisse irgendwem verkauft als ihr selbst, behält sich aber vor die Preise selbst zu bestimmen. Die niederländische Krone ist eigentlich ein großer indischer Grundherr, im Besitz der geräumigsten und schönsten Inseln der Welt, mit 30 Millionen Einwohnern, die ihm Frohnden leisten müssen. Der Grundherr läßt durch seine Beamten die Domänen beaufsichtigen, und das Ergebnis bestäht jährlich in so und so viel Millionen Reingewinn, sowie in der Belebung des niederländischen Handels und der niederländischen Schifffahrt mit einer Last von Colonialerzeugnissen, die auf den Auctionen holländischer Seeplätze versteigert werden. Dieses sogenannte ‘Cultursystem’ der Holländer wurde vormals in England bewundert und sogar beneidet, da seine fiscalische Seite gewiß glänzend zu nennen ist. Durch welche sittliche oder unsittliche Mittel aber dieser Glanz erkauft wird, soll unsere Erzählung uns lehren. Zum voraus wollen wir hier nur eines einzigen Umstands gedenken, der uns in die Geheimnisse asiatischer Finanzwirthschaft einweiht. Die holländischen Residenten auf Java haben der Regierung alljährlich statistische Tafeln vorzulegen. Auf ihnen befindet sich ein Posten der die Ein- und Ausfuhren von Reis aus einer Residentschaft in die andere nachweist, wohlgemerkt also nur den Binnenverkehr Java's betrifft. Wenn man die angegebenen Mengen sämmtlicher Residentschaften zusammenzählt, so ergibt sich daß sie fortwährend beträchtlich mehr Reis aus- als eingeführt haben. Jeder hätte also mehr gegeben als empfangen, statt daß die Mengen der Einfuhren genau so viel betragen sollten wie die der Ausfuhren. Hier liegt also eine handgreifliche statistische Lüge vor, die von den amtlichen Blät- | |
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tern verkündigt wird, und die ein jeder schwarz auf weiß in jedem Jahre durch Rechnung nachweisen kann. Die niederländische Regierung wird also belogen. Dieß ist kein Vorwurf für sie, da gleiches dem redlichsten Manne widerfahren kann. Die niederländische Regierung läßt sich aber gern belügen, hat sich seit zehn Jahren belügen lassen, und wird sich die nächsten zehn Jahre belügen lassen. Das ist also etwas anderes. Verwundert fragt wohl mancher: was den Residenten daran gelegen seyn kann in Bezug auf den Reishandel statistisch zu lügen? Dahinter liegt aber das Geheimniß jener glänzenden finanziellen Erfolge. Die Regenten und Residenten erhalten eine Prämie für die abgelieferten Colonialproducte, die Regenten zumal betreiben nun den Kaffeebau aufs eifrigste. Von weither müssen die armen Frohndpflichtigen herbei, um Kaffee auf den Regentschaftsgründen zu bauen. In Folge dessen sinkt der Reisbau, und es brechen bald hier bald dort Hungersnöthe aus, sowie die Witterung ein wenig ungünstig war. Ein Resident aber, der statistisch beweist daß sein Gebiet mehr ausführen konnte als es einführte, ist sicherlich ganz schuldlos an dem Hungertod von Tausenden. Jetzt weiß man warum statistisch gelogen wird, und ebenso klar ist warum man sich belügen läßt: weil ja das Volk im europäischen Holland nicht wissen darf auf welche Art es täglich an Reichthümern wächst. Das Volk von Holland trifft nämlich nur der Vorwurf nicht klar zu sehen. Es hat für seine indischen Unterthanen die trefflichsten Gesetze gegeben, die von Menschlichkeit und Nächstenliebe triefen, was aber aus den Gesetzen in Indien wird, darüber sollen wir eben Aufschlüsse empfangen. Man glaube übrigens durchaus nicht daß die indischen Kronbeamten Wütheriche sind, es sind nur eifrige Diener welche die höchsten Regierungsabsichten in Batavia fördern. Der Nahme dieser Absichten ist nicht Ehrgeiz, nicht Eroberungssucht, am wenigsten Unmenschlichkeit, es ist nur - der Kaffee. Der Kaffeebau ist das erhabene Ziel, dem alle Opfer fallen; alles was ihm hold ist, ist der Regierung willkommen, alles was ihn schmälert, wird zum Schweigen gebracht. Dem erwarteten neuen Unterresidenten von Lebak gieng der Ruf voraus daß er ein Sonderling und jedenfalls etwas excentrischer Sinnesart sey. Er diente bereits 17 Jahre als Beamter und hatte gleich beim Beginn seiner Laufbahn bittere Erlebnisse zu erfahren, die am besten zeigen mit welcher Art von Manne wir es zu thun haben, nähmlich | |
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mit einem geraden aber spröden und unbiegsamen Manne. In den Jahren 1841-42 war General van Damme auf Sumatra mit der obersten Gewalt betraut worden. Sein Ehrgeiz trieb ihn an das indische Reich zu mehren, leider soll aber ein geheimer Artikel zu dem Vertrag mit England vom Jahr 1824 bestehen, laut dessen die Holländer ihre Eroberungen auf Sumatra nicht nördlicher ausdehnen dürfen als zum Flußgebiet des Singkel. Max Havelaar, unser Held und Selbstbiograph, glaubt an das Daseyn dieses geheimen Artikels und aus guten Gründen. In der That sind die holländischen Besitzungen über das Gebiet des Singkel nicht hinaus gewachsen, und doch gränzen just daran die Herrschaften der Radschas von Trumon und Analabu, die einen sehr lebendigen Ausfuhrhandel mit Pfeffer betreiben. An Gründen zu einem Kriege und an Vorwand zu Einverleibungen fehlt es nie in Indien, folglich muß jene kleinen Pfefferkönige irgendein diplomatischer Talisman schutzen. Da van Damme diese saftigen Bissen ungenossen lassen mußte, wendete er sich der Ostküste zu, wo er dem Könige von Holland die Landschaften Bila und Pertibea eroberte. Die Regierung in Batavia billigte jedoch diesen Zuwachs nicht, weil sie in den Kriegsausgaben nicht den bisherigen Aufwand überschreiten wollte. Der General erwiederte indessen daß er auch das neue Gebiet mit den vorhandenen Kräften halten könne, er habe zwar andere Landschaften von Truppen entblößt, zähle aber auf die Treue seines Bundesgenossen des Dschang di Pertuan,Ga naar voetnoot* des mächtigsten Häuptlings der Battastämme. Allein der Dschang war erst kurz zuvor von den Padries (Mollahs) zum Islam bekehrt worden und wegen seines Renegatenfanatismus zu fürchten. Der Unterresident der Battaländer war Feind dieses Dschang, er glaubte daß der Häuptling Verrath brüte, daß er die Unterhäuptlinge versammelt, ihnen den Ausbruch eines heiligen Krieges verkündet habe u.s.w. Der Resident ließ ihn also ergreifen und sendete ihn als Gefangenen zu seinem Schwiegersohne, dem regierenden SchatzbeamtenGa naar voetnoot** in Natal an der Westküste Sumatra's (also nicht mit dem Natal im Südafrikanischen Kafferlande zu verwechseln). Der Dschang wurde einige Tage eingesperrt und mit dem nächsten Schiffe dem Statthalter der Westküste Sumatra's in Padang überliefert. An dem dortigen | |
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Landungsplatze erwartete ihn jedoch die Kutsche des Generals van Damme mit der frohen Nachricht daß er völlig frei sey und gehen könne wohin er wolle. Zugleich war der Resident der Battaländer von dem General seiner Dienste enthoben worden und ebenso sein Schwiegersohn, der Schatzbeamte in Natal. Beide hatten nähmlich zwar in gutem Glauben gehandelt, der Resident aber nicht geahnt welchen schlimmen Streich er dem General durch die Verhaftung des Dschang gespielt hatte. Die Urkunden mit den beschworenen Zeugenaussagen bezüglich der Verschwörung fielen dem General in die Hände und fanden wohl nie ihren Weg nach Batavia. An die Stelle des enthobenen Schatzbeamten in Natal wurde damals Max Havelaar berufen. Bei der Uebergabe der Geschäfte erzählte ihm sein Vorgänger, daß wenn auch der General die Papiere die nach Padang gesendet worden seyen, unterschlagen oder vernichtet habe, doch noch andere vorhanden und bereits nach Batavia gelangt seyen. Vor kurzem nämlich sey ein gewisser Si Pamaga vom Gerichtshof zu Natal zur Peitschenstrafe, Brandmarkung und 20jähriger Sträflingsarbeit verurtheilt worden. Er hatte gegen den dortigen Tuanku (sumatranischer Beamtentitel) einen Mordversuch ausgeführt, war dann ergriffen und geständig geworden daß er sein Verbrechen auf Anstiften des Sutan Adam eines Bruders von Dschang di Pertuan habe verüben wollen, sowie, daß, wenn es gelungen wäre, der Schatzbeamte an die Reihe habe kommen sollen. Die Acten über das Gerichtsverfahren waren mit dem Sträfling nach Batavia gelangt, also dem General van Damme nicht mehr erreichbar. Allein dieser suchte sich zu helfen. Nachdem der Schatzbeamte entfernt worden und Max Havelaar in seine Stelle eingerückt war, erschien der General in Natal und setzte einen außerordentlichen Gerichtshof zusammen, der aus ihm selbst als Vorsitzenden, seinen Adjutanten, einem Richter, den er aus Padang eigens mitgebracht hatte und Max Havelaar bestand und den Zweck hatte das frühere Verfahren gegen Si Pamaga als ungerecht umzustoßen. Der Padanger Richter war des Malayischen nicht mächtig, und da die Zeugen nur malayisch aussagten, so übernahm General van Damme die Rolle des Dolmetschers. Aus den zusammengebrauten Acten ergab sich schließlich daß Si Pamaga niemals die Absicht hatte den Tuanka zu ermorden, und daß das Strafverfahren von dem abgesetzten Schatzbeamten nur eingeleitet worden sey um seinem Schwiegervater eine Waffe gegen | |
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den ihm verhaßten Dschang di Pertuan zu liefern. Max Havelaar durchschaute noch nicht die Beweggründe des Generals, denn er sah darin nur einen übergroßen Eifer um einen Unschuldigen vor einem Fehlgriff der Gerichte zu schützen. Doch mußte er darin dem General Widerstand leisten und verweigerte daher die Acten des Ehrenrettungsverfahrens zu unterzeichnen, er schmeichelte sich dabei im Stillen daß dieser kühne Freimuth ihm die Achtung des allgewaltigen militärischen Gebieters gewonnen habe, der sich auch sehr günstig über Havelaars sonstiges Betragen äußerte, denn dieser hatte damals schwere Zeiten zu bestehen. Die Battaländer befanden sich in Aufruhr und dieser hatte seine Ansteckung auch auf das nahe Natal erstreckt. Alle Holländer schwebten damals in Lebensgefahr, aber Havelaar versah seinen Dienst mit größter Unerschrockenheit. Nur hatte er leider dabei die fiscalischen Interessen nicht in Obacht genommen. Er war oft abwesend und mußte die Kassen nicht gehorig bewacht zurücklassen. So kam es denn daß ein Deficit von ein paar tausend Gulden eingetreten war. Havelaar zeigte diesen Umstand rechtzeitig an und hoffte auf Nachsicht, denn es war Brauch daß in unruhigen Zeiten wenn Unordnungen in die Bücher sich einschlichen, die Schatzbeamten nicht weiter zur Verantwortung gezogen wurden. Havelaar hatte auch seinen Fehler dem General van Damme eingestanden, dieser ihn aber beruhigt daß in schwierigen Zeiten die Geldangelegenheiten Nebendinge seyen. Kurze Zeit, nachdem der General Natal verlassen hatte, erhielt Havelaar einen Posten in den Padanger Hochlanden. Dieß sah wie eine Beförderung aus, denn gerade jene Stellen gelten in Sumatra als sehr einträglich. Er verließ also Natal und begab sich nach Padang, wo van Damme sich aufhielt. Als er sich zu einer Vorstellung meldete, erhielt er zur Antwort, der General könne ihn nicht empfangen, auch habe er sich vorläufig nicht auf seinen neuen Posten zu begeben. Bald nachher hieß es daß in seiner Amtsführung in Natal Unrichtigkeiten entdeckt worden seyen. Es wurde ein Proceß eingeleitet und Havelaar sollte in Padang sich verantworten. Er bat darum nach Natal gehen zu dürfen um durch Einsicht der Bücher und Verhör der Schreiber den Ursprung der Unregelmäßigkeiten aufzuklären. Dieß wurde ihm rundweg verweigert, denn eben, um ihn von Natal wegzulocken, hatte man ihm eine Beförderung nach den Padanger Landschaften vorgespiegelt. Havelaar war damals ganz mittellos und durfte sich | |
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von Padang nicht entfernen. Dem Verhungern nahe, sah er einst einen Eingebornen eine Heerde Truthühner vorübertreiben. Er fragte ihn, obgleich er es im voraus wußte, wem sie gehörten, und als ihm der Eingeborne erwiederte, dem General van Damme, schoß er einen davon mit den Worten nieder. ‘Sage deinem Herrn daß ich, Max Havelaar, diesen Hahn mir angeeignet habe weil ich sonst verhungern müßte.’ Der General ließ diese Herausforderung unbeachtet. Endlich kam aus Batavia der Befehl daß Havelaar, der überhaupt auf freiem Fuße sich befunden hatte, aus seiner Consignation in Padang entlassen werde. Er wurde hierauf wieder anderwärts angestellt und später befördert, geradeso wie auch der frühere Schatzbeamte von Natal anderweitige Verwendung gefunden hatte. Um übrigens jeden Verdacht der Unredlichkeit zu beseitigen, zahlte Havelaar so wie er durch seine Heirath zu Vermögen gelangt war, die Summen welche durch seine Amtsführung dem Schatze entgangen waren nachträglich zurück. Max Havelaar, bevor er in seine neue Stellung gelangte, war Unterresident in Amboyna gewesen und hatte, da es dort keinen Residenten gibt, eine freiere Stellung genossen, so daß seine Verzetzung nach Lebak als keine Verbesserung zu betrachten war. Von der Gränze der Unterresidenzschaft gieng es nach Rankas Betong, denn dort und nicht in der Stadt Lebak befand sich der Sitz der Regierung. Dort angekommen, wurde Havelaar von Hrn. Slymering, dem Residenten von Bantam, seinem Vorgesetzten, den versammelten Häuptlingen und eingebornen Beamten feierlich vorgestellt und beeidigt. Die Beeidigung besteht, wohlgemerkt, aus zwei Handlungen, nämlich aus der Abnahme des gewöhnlichen Dienst- und Treue-Eides, dann aber aus einem feierlichen Schwur daß der Beamte ‘die eingebornen Unterthanen gegen die Verdrückung der Häuptlinge schützen wolle.’ Nach dieser Förmlichkeit verabschiedete sich der Resident und Max Havelaar war jetzt der höchste Beamte in dem Kreis Lebak.
Er wußte daß gerade dieser Kreis zu den verrufensten auf Java gehörte. Die Bevölkerung hatte sich von Jahr zu Jahr verdünnt, weil viele Unterthanen in die nächsten Kreise flüchteten. Die erste Frage die er an den Adhipatti oder Regenten gerichtet hatte, war daher gewesen, ob in Rankas Betong ‘viel gebaut und viel gepilgert’ werde. Die bigotten javanischen Fürsten, namentlich wenn sie alt | |
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werden, erschöpfen sich nähmlich in frommen Werken, sie bauen Moscheen und bezahlen Pilgern die Reise nach Mekka, die ihnen dafür Amulette und Talismane heimbringen. Um nun ihre Finanzen aufzubessern, werden die javanischen Unterthanen gezwungen über die gesetzlich vorgeschriebenen Robottage in den Pflanzungen der Fürsten zu arbeiten. Wie es der Regent treibt, so treiben es die kleinen Häuptlinge, welche geradezu den armen Bauern die Büffel vom Pflug spannen und als Schlachtvieh nach dem nächsten Markte treiben. Nun sollte man meinen der Beschädigte brauche nur bei dem holländischen Beamten sich zu beklagen, der ja einen Eid zu seinem Schutz geschworen habe. Viele holländischen Beamten spielen aber mit den Regenten unter einer Decke. An jedes Regierungshaus gränzt ein Stück Land. Dieß enthält gewöhnlich einen prächtigen Park oder einträgliche Pflanzungen. Um solche Parke oder Pflanzungen zu unterhalten, dazu bedarf es großer Arbeitskräfte. Aber der Beamte braucht nur dem Regenten ein Wort zu sagen und die Arbeiter kommen ‘freiwillig,’ aus lauter Hingebung für die Obrigkeit. Wer sich solche Zärtlichkeiten gefallen läßt, der muß wiederum ein Auge zudrücken. Als Havelaar in einer Angabe an seinen Vorgesetzten darum bat, man möge ihm doch eine Anzahl Sträflinge senden, um den Park am Amtshause so weit zu lichten daß die Schlangen sich minderten, die jeden Schritt unsicher machten und in das Haus selbst sich einschlichen, erhielt er zur Antwort, er habe das Recht bei kleinen Vergehen Strafarbeiten anzuordnen und er dürfe die Betroffenen zur Ausholzung des Parkes verurtheilen. Natürlich widerstrebte dieß seinen Gefühlen, weil die Betroffenen dann in der Strafe eigennützige Absichten des Richters hätten wahrnehmen können. Sein Amtsvorgänger hatte bis zu seinem Tode redlich gegen die Mißbräuche gekämpft, aber vergebens, denn sein Vorgesetzter, der Resident von Bantam, drang darauf daß alle diese Dinge nur mündlich verhandelt werden sollten. Auch dieß hat seinen guten Grund, denn die Verwaltung Indiens lebt von einem künstlichen Optimismus. Jeder Generalstatthalter will am Jahresschluß nach der Heimath berichten: ‘Die Ruhe sey ungetrübt erhalten worden und Zeichen von Unzufriedenheit nicht vorhanden.’ Erhielte er nun von einem Residenten Besorgniß erregende Berichte, so könnte er dieß nicht verschweigen, und in Holland würde man ihn für ‘unfähig’ halten, weil ja seine Vorgänger immer | |
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in Ruhe und zur Zufriedenheit regiert hätten. Der Resident wiederum, der auf Beförderungen von Seiten des Generalstatthalters wartet, hütet sich ihm unangenehme Dinge zu melden. Daher will er nicht daß die Unterresidenten ihm amtliche und schriftliche Klagen einsenden, er verhandelt vielmehr alles mündlich, d.h. er vertuscht die Beschwerden. Und nichts ist leichter! Der Resident erscheint an Ort und Stelle, ein Rath wird berufen und vor ihm sollen nun die javanischen Bauern erscheinen und ihre Klagen wiederholen. Im Rathe sitzen aber die Häuptlinge und der Regent über den sie sich zu beschweren haben. Statt ihre Behauptungen aufrecht zu erhalten, werfen sie sich auf die Kniee, gestehen daß sie schändlich gelogen haben, rutschen zu den Füßen desjenigen den sie vorher dem Beamten angezeigt hatten und bitten ihn flehentlich um Verzeihung. Selbst wenn aber der Kläger den Muth besäße auf seinen Beschwerden zu beharren, so sind doch Eide von Entlastungszeugen sehr leicht beizubringen. Der obige Fall aus Sumatra - und zwischen Javanen und Malayen treten hier keine Unterschiede ein - beweist uns, wie ein Strafurtheil in Rechtsform erlassen und in Rechtsform wieder umgestoßen werden kann. Wie die Bedrückungen aber ausgeübt werden, darüber gibt Havelaar, um nicht zu weitschweifig zu werden, uns Aufschluß in einer eingeflochtenen Erzählung. Der Held führt den Namen Saïdschah. Er war noch ein Knabe als seinem Vater von dem Districtshäuptling von Parang Kudschang der einzige Büffel den er besaß ohne weiteres weggenommen wurde.Ga naar voetnoot* Gegen diesen Gewaltstreich gab es kein Gegenmittel, und als die Zeit herankam wo gepflügt werden sollte, mußte sich der beraubte SundaneseGa naar voetnoot** entschließen ein altes Erbstück seiner Vorfahren, ein Kris (Dolch), mit silberbeschlagener Scheide zu verkaufen. Für die erlös- | |
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ten 24 Gulden brachte er einen neuen Büffel heim. Die Büffel Java's sind kluge anhängliche Thiere und besonders den Kindern gewogen. Der neue Büffel wurde sogar zur Schutzgottheit der armen Leute, denn eines Tages, als der kleine Saïdscha auf den Reisfeldern sich befand, zeigte sich unvermerkt ein Tiger. Alle flüchteten, nur Saïdscha der gefallen war, wäre eine Beute des Raubthieres geworden, wenn nicht der Büffel vor den Knaben getreten wäre und dem anspringenden Tiger seine Hörner geboten hätte. Der Tiger holte sich tiefe Stoßwunden und zog heulend ab, während dem Büffel von den Tatzenschlägen seines Gegners nur das Fleisch verletzt worden war. Aber auch dieser Büffel sollte den Leuten nicht bleiben, sondern der Ortshäuptling ließ ihn ergreifen und verkaufte ihn als Schlachtvieh in die nächste Stadt. Ohne Büffel, ohne weiteres Erbstück, konnte der Sundanese sein Feld nicht bestellen und seine Steuern nicht zahlen. Er entlief also, wurde aber, da er keinen Wanderpaß besaß, in Buitenzorg aufgegriffen und nach der Heimath geschoben, wo er wegen Entlaufens Prügelstrafen erhielt und eingesperrt wurde. Ein baldiger Tod beendigte glücklicherweise seine Dulderlaufbahn. Saïdscha war jetzt so weit herangewachsen daß er beschloß nach Batavia zu wandern und sich dort als Dienstbote zu verdingen. Obgleich erst ein Jüngling, war er doch nach Landesbrauch schon längst mit Aninda, der Nachbarstochter, verlobt. Unter einem Ketapanbaum vor dem Dorf trennten sich die Kinder. Beim feierlichen Abschied gelobten sie sich daß Saïdscha nach dreimal zwölf Monden zurückkehren wolle, daß er sich Geld genug ersparen werde um einen neuen Büffel zu kaufen, daß er dann das Erbe seines Vaters antreten werde, denn ausnahmsweise wird in jenem Kreise ein Eigenthum an Grund und Boden anerkannt. Bei jedem Neumond sollte Aninda in die Reistenne ihres Hauses ein Kerbzeichen schneiden und beim 36sten Zeichen ihn wieder am Morgen under dem Ketapanbaum erwarten, dann sey die Zeit gekommen wo beide ihre Hochzeit feiern dürften. Saïdscha wanderte nach Batavia und fand dort leicht eine Herrschaft, weil er sundanesisch sprach und das Malayische noch nicht verstand, denn malayisch redende Dienstboten gelten dort als bereits verdorben, während frisch zugewanderte sich besser abrichten lassen und anfangs wenigstens redlich ihre Pflicht erfüllen. Saïdscha diente auch zur Zufriedenheit, erhielt bald einen bessern Lohn als anfänglich und | |
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obendrein manche Geschenke. Nach drei Jahren forderte er seine Entlassung und ein gutes Dienstzeugniß. Dieß konnte ihm nicht verweigert werden und der überglückliche Bursche zog ab. In seinem Beutel klimperten nicht weniger als 30 Piaster (54 fl.), genug um 3 Büffel zu kaufen, außerdem brachte er als Ersparnisse noch ein silberbeschlagenes Kris und für Aninda eine silberne Kette mit goldenem Schloß heim. Am Abend vor dem Neumond befand er sich unter den Ketapanbaum und wartete ungeduldig daß es Morgen werden sollte.
Die Sonne zögerte dem Ungeduldigen gar zu lange, doch gieng sie auf wie immer, nur erschien keine Aninda. Noch wartete und wartete Saïdscha, bis ihn endlich der Gedanke aufjagte das Mädchen könne krank, könne todt seyn. Er floh spornstreichs ins Dorf, konnte aber das Haus des väterlichen Nachbars nicht mehr finden. Die Leute erkannten den Jüngling, der wie ein Halbrasender sich gebärdete und dem sie eine traurige Botschaft mitzutheilen hatten. Es war eine alte monotone traurige Geschichte. Auch Aninda's Vater hatte der Häuptling die Büffel ausgespannt, auch er war in Steuerrückstand gerathen, auch er war schließlich mit Tochter und Söhnen geflohen. Weiter hieß es, er habe sich nach Tschilangkahan gewendet, nämlich an die Küste. Dort sey er zusammengestoßen mit andern Leidensgefährten welche der Districtshäuptling von Parang Kudschang ihrer Ackerthiere beraubt und die sich geflüchtet hatten um der Strafe für Steuerrückstände zu entgehen. Sie hatten sich des Nachts eines Fischerbootes bemächtigt und waren zur See gen Westen gefahren, immer das Land zur Rechten behaltend, bis sie die Javaspitze erreichten, von wo sie sich zur Prinzeninsel (Sunda-Straße) und weiter nach den Lamponglandschaften (Südspitze von Sumatra) gewendet hatten, wo damals ein Aufstand unter den Eingebornen ausgebrochen war. Ihre Hütte war bereits in Trümmern gefallen, aber die Reistenne hatte sich glücklicherweise ein Nachbar angeeignet, bei dem sie Saïdscha besichtigen und auf der er 32 Kerbschnitte zählen konnte, so daß bis vor 4 Monaten Aninda ihre Zeitrechnung fortgesetzt hatte. Saïdscha eilte jetzt hinweg und gieng nach dem Lampongkreise auf Sumatra, wo er sich unter die aufständischen mischte, weniger um zu fechten als um Aninda zu suchen. Er fand sie auch wirklich, aber zu spät, er fand sie in einem brennenden Dorfe zwischen den | |
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Leichen ihrer Brüder, selbst eine Leiche, nackt und furchtbar verstümmelt. Dort war der Widerstand der Rebellen gebrochen worden und noch verfolgten die Truppen die letzten Reste der Kämpfenden, so daß Saïdscha nicht lange zu suchen brauchte um den Tod unter ihren Bajonetten zu finden. In Batavia herrschte bald darauf Jubel über die Lorbeeren welche die Truppen wieder errungen hatten. Der Statthalter schrieb einen Bericht, und der König, erleuchtet durch seine Staatsmänner, belohnte wiederum allen Aufwand von Heldenmuth mit einer Menge Ritterkreuzen.
Saïdscha's Erlebnisse, ruft Havelaar aus, sind nur eine Erzählung. Man wird sagen: woher weiß Havelaar daß Javanen oder Sundanesen so treu und zärtlich lieben wie Aninda und Saïdscha? ‘Das weiß ich selbst nicht,’ gesteht Havelaar, ‘aber meine Gegner können ebenfalls nicht beweisen daß sich die Dinge nicht so zutragen könnten wie in dieser Erzählung. Gesetzt jedoch, die Eingebornen seyen nicht so sentimental wie europäische Romanhelden, ist es darum gerechtfertigt daß ihre Häuptlinge wegen Mangels an Sentimentalität ihnen den Büffel vom Pflug spannen sollen? Daß man sie dann bestraft, wenn sie die Steuern nicht zahlen, daß man sie zum Aufstand der Verzweifelnden treibt, ihre Dörfer dann anzündet und sie mit Bajonetten niederstößt?’ Daß diese Dinge aber nicht bloß möglich sind, sondern wirklich vorkommen, und nicht bloß vorkommen, sondern zu den Alltäglichkeiten gehören, das erfuhr Havelaar zur Genüge. In der Abendfinsterniß kamen die Verdrückten an das Amtsgebäude geschlichen, zitternd und zagend brachten sie ihre Klagen vor, die immer das alte Lied wiederholten, nämlich Beraubung durch die einheimischen Obrigkeiten, oder wenigstens Nöthigung zu Feldarbeiten über das gesetzliche Maß. Solche Misbrauche kamen allenthalben vor, aber nirgends ärger als im Kreise Lebak, und deßwegen entwich wer von dort entweichen konnte, so daß die Bevölkerung jährlich dünner, die Bedrückungen um so härter wurden. Die Residenten aber schrieben die Abnahme der Kopfzahl, wie immer, den ‘Ungenauigkeiten des letzten Census’ zu.
Havelaar suchte anfangs durch Güte und Festigkeit zu vermitteln. Der Regent brauchte Geld, seine Cassen waren leer. Auf eigene Verantwortung ließ ihm der Unterresident aus den öffentlichen Cassen | |
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Gelder vorstrecken, und hoffte ihn dadurch von sich abhängig zu machen. Ueber alle Bedrückungen die ihm angezeigt wurden, stellte er den Regenten zur Rede, der natürlich seine Unschuld betheuerte. Untersuchungen führten freilich zu nichts, allein wenigstens die Angeber blieben sicher vor Rachebehandlungen der Häuptlinge, die Havelaar unerbittlich gestraft haben würde. Die Mißbräuche dauerten fort, der Regent erwies sich als unverbesserlich, obendrein erwartete er den Besuch des Regenten von Tichandschur aus den Preanger Gebieten, der noch vornehmer, noch reicher, noch prachtliebender war als er selbst. Da hätte es nun verschwenderische Feste gegeben, und das Geld dazu hätte nicht anders als durch neue Beraubungen der Unterthanen herbeigeschafft werden können. Bei einem Einschreiten gegen den Regenten durfte Havelaar nicht auf Unterstützung des Residenten von Bantam, seines Vorgesetzten, zählen. Er war sogar von dorther kürzlich gereizt worden. Der Schatzbeamte von Rankas Botong hatte nämlich dem Residenten zu einem bevorstehenden Bau einen Kostenvoranschlag eingereicht. Dieser verlangte zu wissen wie es käme daß der Arbeitslohn und das Baumaterial plötzlich gestiegen sehen, während man vor zwei Jahren einen Gefängnißbau viel wohlfeiler ausgeführt habe. Dieß war sehr einfach zugegangen. Die Baubeamten auf Java bauen sehr wohlfeil. Ein Gebäude welches einem Privatmann Tausende kosten würde, liefern sie um ebenso viel Hunderte, und werden solcher Kunststücke wegen belobt und befördert. Ihr Kunststück besteht aber darin daß sie das Landvolk von den Häuptlingen zur Arbeit pressen lassen, nicht bezahlen. Da nun kurz zuvor (1856) ein gesetzliches Verbot gegen diesen Unfug erlassen worden war, so erklärten sich die höheren Sätze in den späteren Kostenvoranschlägen. Unter den geschilderten Umständen konnte eine Katastrophe nicht ausbleiben. Havelaar hatte ja einen Eid schwören müssen die Unterthanen gegen Bedrückung zu schützen und er hielt die Erfüllung seines Eides für eine heilige Pflicht. Er lag also auf der Lauer dem Regenten gegenüber um ihn irgendwo zu packen, leider ließ er sich vorzeitig zu einem verfehlten Sprunge fortreißen. Als die Havelaars in das Amtsgebäude eingezogen waren, weilte dort noch die Wittwe ihres Vorgängers Madame Slotering, eine ‘Eingeborne’, worunter jedoch nach niederländischer Ausdrucksweise nicht etwa eine Sundanesin zu verstehen ist, sondern eine Liplapin. | |
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Liplapen nennt man bekanntlich die Abkömmlinge von Europäern von mehr oder weniger gemischtem Blut. Es besteht zwar gegen sie kein Kastenvorurtheil und keine Rangordnung der Hautfarbe drückt sie herab, dennoch genießen sie kein Ansehen und die Gesellschaft verhält sich sprüde gegen sie, aber nur weil man sie für nicht gut erzogen hält. Die Wittwe hatte gebeten ob sie nicht noch einige Zeit in Rankas Betong verweilen dürfte und gern war ihr ein angränzendes Gebäude überlassen worden. Schon oft hatte man aber bemerkt daß so oft ein Sundanese vor den Amtsgebäuden sich zeigte, Madame Slotering ihn ziemlich heftig fortzuschelten pflegte. Man sah darin eine Sonderbarkeit, die jedoch auf die Dauer lästig zu werden drohte, denn oft kamen ja Leute heimlich herbeigeschlichen die sich bei Havelaar beschweren wollten und von der unglücklichen Dame vielleicht sich verscheuchen ließen. Als sich daher abermals ein solcher Fall zugetragen hatte und Madame Slotering wie gewöhnlich zum abendlichen Thee bei dem Unterresidenten erschien, setzte sie dieser zur Rede über ihre absonderliche Gewohnheit. Die arme Frau brach in Thränen aus und betheuerte sie fürchte immer von Seiten der Eingebornen einen Anschlag auf das Leben, namentlich wenn sie diese in die Nähe der Küchen schleichen sehe. Ihr Gemahl hatte wie Havelaar beständig bei dem Residenten auf Abstellung der Mißbräuche gedrungen welche sich die Häuptlinge zu schulden kommen ließen und war immer wieder zum Schweigen verwiesen worden. Im letzten November hatte er dann offen erklärt, daß wenn bis zum Ende des Jahres keine Abhülfe erfolge, er sich unmittelbar an den Generalstatthalter wenden werde. Wenige Tage nachher unternahm er eine Beaufsichtigungsreise ins Gebirge und aß zu Mittag bei dem Demang (Häuptling) von Parang Kudschang, dem Schwiegersohn des Regenten. Gesund hatte er das Haus verlassen, schwer erkrankt wurde er, dem nie zuvor etwas gefehlt hatte, heimgebracht. Er schrie vor Schmerz, rief immer Feuer! Feuer! und deutete auf die Magengegend. In wenig Stunden verschied er bevor der Arzt erschien, dessen Ausspruch dahin lautete daß ein Absceß in der Leber den Tod herbeigezogen habe. Dieß war der Grund weßhalb Madame Slotering in beständiger Angst nicht für sich, sondern für die Familie Havelaar schwebte, da sie recht gut wußte daß der neue Unterresident wie ihr unglücklicher Gemahl auf Abstellung der Mißbräuche dringe. Havelaar ließ jetzt den Schatzbeamten Ver- | |
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brugge kommen und befragte ihn über die Umstände beim Tode seines Vorgängers. Verbrugge war ein redlicher Mann aber ein schüchterner Beamter. Er erklärte über die Vergiftung etwas sicheres nicht zu wissen, doch war er genöthigt schriftlich zu bezeugen ‘das er glaube Hr. Slotering wäre früher oder später vergiftet worden, wenn er nach wie vor gegen die Mißbräuche aufgetreten sey, daß er selbst nicht wage das Vorhandenseyn dieser Mißbräuche zu bestätigen aus Furcht vergiftet zu werden und aus Anhänglichkeit an seine Schwestern, die einzig von seiner Unterstützung in Batavia lebten.’ Havelaar's Entschluß stand jetzt fest und er unterrichtete seine Gemahlin, er werde alles aufs Spiel setzen und noch heute den Regenten anklagen. Thränen und Bitten waren vergebens. Er schrieb vielmehr amtlich dem Residenten daß er den Regenten und seinen Schwiegersohn, den Demang von Parang Kudschang, anklage das Volk über die gesetzlichen Lage durch Frohnden zu bedrücken. Er beantrage deßhalb den Regenten plötzlich nach Serang zu entfernen und gleichzeitig seinen Schwiegersohn festzusetzen, dann aber die Untersuchung einzuleiten, denn ließe man beide in ihren Bezirken, so würden die Zeugen bestochen und die Ankläger eingeschüchtert werden. Was Havelaar vorausgesehen hatte, trat ein; nicht eine amtliche Antwort, sondern ein Privat-schreiben lief ein, worin sich der Resident beklagte daß Havelaar ihm nicht mündlich sein Vorhaben mitgetheilt habe, und daß er selbst kommen werde um die ‘Schwierigkeiten auszugleichen’.
Der Resident kam wirklich und begab sich eine Stunde nach der Ankunft zum Regenten, den er befragte: ‘ob er sich irgendwie über Havelaar zu beschweren habe und ob er Geld brauche.’ Der Regent schwor daß er nichts gegen Havelaar vorzubringen habe, nahm aber, da er wie immer dringend Geld bedurfte, von Hrn. Slymering eine Handvoll Banknoten. Der Regent ahnte so wenig von dem was vorging, daß er Hrn. Verbrugge voller Verwunderung erzählte was ihm widerfahren sey. Dieser theilte alles dem Officier mit welcher die Garnison in Rantas Betong befehligte, und dieser Ehrenmann drang in den Schatzbeamten von dem zweideutigen Benehmen des Residenten Havelaar in Kenntniß zu setzen. Dieser ließ sich wiederum alles schriftlich bestätigen, hielt aber mit der Veröffentlichung dieser gefährlichen Urkunde zurück bis der Resident Slymering aus Ban- | |
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tam versetzt worden war und den armen Verbrugge nicht mehr beschädigen konnte. Der Resident hatte sich vergeblich bemüht Havelaar zur Zurücknahme der amtlichen Anklage zu bewegen. Als dieß unmöglich war, forderte er ihn auf Zeugen für seine Beschuldigungen vorzuführen. Havelaar wiederum bestand darauf daß zuvor der Regent entfernt werden müßte, weil die Sundanesen nur heimlich sich zu beschweren wagen, öffentlich aber stets sich einschüchtern lassen. Unter diesen Umständen blieb dem Residenten nichts übrig als die Sache dem Generalstatthalter amtlich zu übergeben. Mit dieser Erklärung hatte man sich getrennt.
Havelaar zählte auf den damaligen Generalstatthalter. Männer die sonst zu diesen hohen Posten berufen werden, erleiden ein eigenes Spiel des Schicksals. Der König unterzeichnet ihre Ernennung und ein schlichter Bürger wird mit einem Federzuge zum unbeschränkten Gebieter von 30 Millionen Unterthanen. Die erste Wirkung dieses Zauberschlages ist ein Schwindel des Berührten. Er glaubt daß mit dem ungewöhnlichen Amte ein ungewöhnlicher Verstand ihm mitgetheilt worden sey. Der Weihrauch, der ihm gestreut wird, betäubt ihn, ungemessenes Selbstvertrauen stellt sich ein zugleich mit Geringschätzung aller derer die vor ihm in Indien gedient haben. Im zweiten Abschnitt seiner Laufbahn ändert sich wieder alles, es beherrscht den Statthalter Furcht, Kleinmuth, Schlafsucht, unbegränztes Vertrauen in den indischen Rath, Heimweh und krankhafte Sehnsucht nach einem Landsitze in Holland. Der Uebergangszustand von dem ersten zum zweiten Abschnitt heißt: Dysenterie. Der damalige Statthalter Hr. Duymaer van Twist befand sich bereits im zweiten Stadium, ja seine Heimkehr stand bevor, und da von seinem Nachfolger nichts zu hoffen war, so mußte rasch gehandelt werden. Havelaar wollte bemerkt haben daß bei Hrn. van Twist der Schwindel der ersten Periode nicht sehr heftig aufgetreten war, er setzte also voraus daß auch die Abspannung minder stark eingestellt haben werde. Dürfen wir selbst eine Vermuthung äußern, so mochte sich Havelaar im stillen vielleicht geschmeichelt haben daß man gerade ihn den schneidigen und unbeugsamen Beamten nach Rankas Betong gesendet habe um dem offenkundigen Unfug dort ein Ziel zu setzen. ‘Begänne nur einmal die Untersuchung, meinte der Officier der Garnison von Rankas Betong, so würde in der Resident- | |
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schaft Bantam mancher Unfug ans Licht gezogen werden, und man werde dem Hrn. Slymering zur Rechenschaft ziehen, weßhalb er jahrelang ruhig zugeschaut habe.’ Eben deßhalb aber war zu fürchten daß er alles zu hintertreiben suchen werde. Nach einem Monat kam die Antwort des Generalstatthalters aus Batavia.
Se. Excellenz war tief entrüstet über das unbotmäßige Vertragen Havelaars gegen seinen Vorgesetzten den Residenten in Bantam. Er habe ohne Beweise ein erniedrigendes Verfahren beantragt gegen den Regenten von Lebak, einen Mann von 60 Jahren, einen eifrigen Diener, verschwägert mit andern einflußreichen Großen, über den bisher nur günstige Zeugnisse eingelaufen seyen. Er werde deßhalb seines Postens in Lebak enthoben, und bis auf weiteres als Unterresident nach Ngawie versetzt, wo es von seinem ferneren Bertragen abhängen werde ob er überhaupt noch im Staatsdienst bleiben könne. Mit derselben Post kam die Nachricht daß der Unterresident von Ngawie bereits an eine erledigte Unterresidentschaft versetzt worden sey. Dorthin hätte man also auch Havelaar schicken können, daß man ihn nach Ngawie verwies geschah daher in schlimmer Absicht, denn der Regent von Ngawie war ein Verwandter des Regenten von Lebak und dort hätte sich die nämliche Verwicklung mit dem nämlichen Ausgang wiederholen müssen. Havelaar zog es daher vor seine Entlassung zo fordern mit dem Bemerken daß die angegebenen Gründe seiner Versetzung auf ‘falschen und erlogenen Thatsachen’ beruhten. Mit dieser Entlassung geriethen er und seine Familie aus guten Verhältnissen in bittere Noth.
Das Buch ist etwas tumultuarisch, aber mit Flammen geschrieben, und gewiß eine höchst bedenksame geistige Schöpfung. Um einen Begriff zu geben wie unser Löwe das Brüllen versteht, lassen wir die Schlußworte folgen. Havelaar droht darin sich um einen Sitz in der Kammer zu bewerben, um von dort aus zu verkünden daß die Javanen mißhandelt werden. ‘Und wenn dieser Platz mir versagt werden, wenn ich kein Gehör finden sollte, dann werde ich mein Buch in die wenigen Sprachen übersetzen deren ich mächtig bin oder mächtig zu werden hoffe um Europa meine Klagen vorzulegen die ich vergeblich in Holland vorgebracht habe. Und in jeder Hauptstadt wird es dann heißen: ‘Eine Räuberbande haust zwischen Deutsch- | |
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land und der Schelde!’ Und wenn auch dieß nichts nützen sollte, dann werde ich mein Buch übersetzen ins Malayische, Javanesische, Sundanesische, Alfuresische, Buginesische und in das Batta (!). Ich werde damit die Klewang, die Seimitare, die Säbel schärfen und mit Kriegsklängen die Gemüther jener Dulder erfüllen, denen ich zu helfen versprochen habe. Ich, Multatuli, werde dieß thun. Sicherlich! Befreiung und Hülfe, wo möglich auf gesetzlichem Wege, auf gesetzlichem Wege mit Gewalt, wenn nöthig. Und dieß dürfte den Kaffeeversteigerungen der holländischen Handelsgesellschaft höchst verderblich werden. Denn ich bin kein fliegenrettender Poet, kein sanfter Träumer, wie der niedergetretene Havelaar, der seine Pflicht erfüllte mit Löwenmuth und Entbehrungen trug mit der Geduld eines Murmeltieres im Winter. Dieses Buch ist nur die Einleitung. Ich werde die Waffen schärfen und wuchtiger führen, je nach Nothwendigkeit. Gebe der Himmel daß es nicht nothwendig sey. Es wird auch nicht nothwendig seyn. Nein! Denn Dir widme ich mein Buch, Dir, Wilhelm dem dritten, König, Großherzog, Fürst - mehr als Fürst, Großherzog und König, dem Kaiser des prächtigen Reiches Insulind, welches sich um den Erdgleicher schlingt wie eine Guirlande von Smaragden. Ich frage Dich ob es Dein kaiserliche Wille sey daß ein Havelaar bespritzt werde mit dem Schmutz der Slymeringe und Drystubble und ob mehr als 30 Millionen Deiner weit entfernten Unterthanen mißhandelt und in Deinem Namen bedrückt werden sollen!’
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In der Hauptsache glauben wir hat der Verfasser unbedingt recht. Was er beklagt, hat vor ihm schon Hoëvell in den indischen Skizzen geschildert. Doch sind die Holländer heutigen Tages keine Raubthiere. Vieles ist schon besser geworden. Haben sie doch die Sklaverei aufgehoben, haben sie doch menschenfreundliche Gesetze vorgeschrieben und ihren indischen Beamten den Eid auferlegt die Eingebornen zu schützen. Zunächst sollte das sogenannte Cultursystem aufgehoben werden, welches zwar fiscalisch glänzend dasteht, aber den Druck der Landbevölkerung gegen früher unendlich verschärft hat. Die Engländer kämpfen in Indien mit ähnlichen Schwierigkeiten. Wo Asiaten durch Asiaten regiert werden müssen, kann es nirgends an Willkür und Bedrückung fehlen, und einem Volke welches | |
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beständig lügt und dessen gerichtliche Eide käuflich sind, läßt sich schwer helfen. Nur muß man den Briten nachrühmen daß sie alle wie Havelaar denken und daß in Indien die öffentliche Meinung stark genug ist um zur Abstellung von Mißbräuchen zu drängen. Was aber des Verfassers Beamtenlaufbahn betrifft, so erwirbt er sich zwar unsere unbedingte Hochachtung daß er auf einen Dienst verzichtete der mit Eid und Gewissen sich nicht vereinigen ließ, wenn er aber sein Buch in alle europäischen Sprachen übersetzt, so möchte in allen europäischen Hauptstädten das Urtheil gefällt werden daß der Generalstatthalter van Twist seinerzeit nicht anders handeln konnte als ihn seines Postens entheben. Niemals wird eine gerechte Sache schlechte Mittel heiligen. Havelaar wollte aber den Regenten entfernt wissen um hinter seinem Rücken eine Untersuchung einzuleiten. Er wollte also genau dasselbe ihm zufügen was General van Damme gethan hatte als er ihn von Natal entfernte, in Padang festhielt und ihn dort zur Verantwortung über seine Amtsführung zog. Wenn es kein anderes Mittel gab als den Angeklagten seiner Vertheidigungsmittel berauben um ihn zu überführen, so mußte man auf seine Verfolgung verzichten. Wollte Havelaar den bedrückten Unterthanen helfen, so mußte er die Tiger nach Tigerart, die schlauen Asiaten mit asiatischer Schlauheit bekämpfen, mußte sie in trügerische Sicherheit wiegen, mußte lauern bis er sie auf frischer That erfassen konnte unter so unzweideutigen Umständen daß der Vorfall sich nicht mehr bemänteln ließ. Durch solche Wachsamkeit hätte er den Schutzeid volkommen erfüllt und eine edle Absicht schließlich doch erreicht. Eine Untersuchung hinter dem Rücken des Unschuldigten in einem Lande wo Gerichtsaussagen käuflich sind, wo sie dem Mächtigen stets zu Gebote stehen, wäre eine Justizkomödie gewesen, genau so wie uns das Rechtfertigungsverfahren des Generals van Damme zu Gunsten des Si Pamagan dargestellt worden ist. So ergibt sich denn aus dem Buch daß Havelaar ein treffliches Herz und einen scharfen Verstand besaß, aber zu den Enthusiasten gehörte welche durch ihre Uebereilungen die beste Sache verderben. Wahrscheinlich sind dieß auch die Gedanken des ‘Kaisers von Insulind’ gewesen wenn er das Buch sich angesehen haben sollte. |
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