Die Herausbildung der deutsch-niederländischen Sprachgrenze
(1984)–J.J. Goossens– Auteursrechtelijk beschermd
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Die Herausbildung der deutsch-niederländischen SprachgrenzeErgebnisse und Desiderate der Forschung
Von Jan Goossens, Münster
Die Grenzen, die das Deutsche und das Niederländische von anderen Sprachen trennen, sind gutteils das Ergebnis des allmählichen Verschwindens einer Diglossie von Sprachen mit grundsätzlichen Unterschieden. In den zweisprachigen Kontaktzonen zur Slavia und zur Romania wurde beiderseits einer Linie jeweils eine Sprache (Germanisch oder Slawisch, Germanisch oder Romanisch) dominant und es verschwand die andere. Sekundäre Verschiebungen dieser Sprachgrenzen sind das Ergebnis des Verschwindens retardierter oder neu entstandener Diglossiestreifen. Beim Entstehen der Grenze, die das Deutsche vom Niederländischen trennt, ist nicht das allmähliche Schwinden, sondern das allmähliche Aufkommen einer Diglossie das entscheidende Moment, und zwar einer Diglossie von Sprachen mit grundsätzlichen Übereinstimmungen, Mundart und Gemeinsprache. In einem einsprachigen geographischen Kontinuum mit allmählichen Übergängen zwischen Dialekten nahm in verschiedenen Bereichen jeweils eine Gemeinsprache (Deutsch oder Niederländisch) gewisse pragmatische Positionen neben der Mundart ein und festigte sich neben ihr. In bestimmten Kontaktstreifen fand eine pragmatische Dreiteilung statt: Es entstand eine Triglossie Mundart-Deutsch-Niederländisch, die dann sekundär auf eine Diglossie Mundart-Deutsch oder Mundart-Niederländisch reduziert wurde. Der Anfang der Herausbildung der dt.-nl. Sprachgrenze ist nicht genau zu bestimmen, weil die ‘Gemeinsprachen’ Dt. und Nl. erst seit der Neuzeit gut greifbar werden und die Lage in den vorangehenden Jahrhunderten sich teils unserer Beobachtung entzieht (was eventuelle gesprochene Gemeinsprachen im Spätmittelalter betrifft), teils einen großen Ermessensspielraum läßt (was die geschriebenen Sprachen betrifft). Versuche, weiter zurückzugehen als bis in eine Zeit, für die der kontinentalwestgermanische Raum mit lokalisierbaren schriftlichen Spracherzeugnissen relativ lückenlos gefüllt werden kann, sind sinnlos. Das heißt, daß wir nicht | |
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weiter zurückgehen können als bis ins 14. Jahrhundert, setzt doch der Ablösungsprozeß des Lateins als Amtssprache durch die Volkssprache im dt. Süden und im nl. Westen gegen Ende der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts ein und braucht er doch gut hundert Jahre, um sich durchzusetzen. Wir befinden uns dann in einer Periode, die wir mnl. und mnd. und auch noch mhd. nennen können. Diese Bezeichnungen suggerieren eine Dreiteilung des Kontinentalwestgermanischen im Spätmittelalter; tatsächlich werden Mnl., Mhd. und Mnd. in der sprachhistorischen Praxis auch als drei verschiedene Sprachen aufgefaßt, die in Grammatiken und Wörterbüchern beschrieben und zwischen denen sogar Grenzen gezogen worden sind. Diese überschneiden die heutige dt.-nl. Sprachgrenze an mehreren Stellen und fallen nirgends mit ihr zusammen. Für die Zeit vor - grob gesprochen - der Mitte des 12. Jahrhunderts, aus der es nur punktuelle, zum Teil sogar nicht lokalisierbare Spracherzeugnisse gibt, nimmt die traditionelle germanische Philologie ebenfalls eine Dreiteilung an, allerdings mit einer recht heterogenen Terminologie: Ein Ausdruck scheint auf ein Teilgebiet eines postulierten deutschen Ganzen zu verweisen (Althochdeutsch), der zweite auf das Gebiet eines Stammes (Altsächsisch), der dritte nur auf ein Teilgebiet eines Stammes (Altniederfränkisch). Allerdings werden in den letzten Jahren der zweite und der dritte Terminus immer mehr durch Altniederdeutsch und Altniederländisch ersetzt, was selbstverständlich nicht impliziert, daß es möglich wäre, die ältesten Stufen der drei kontinentalwestgermanischen Sprachen geographisch gegeneinander abzugrenzen. Daß die von mehreren Philologen gezogene Westgrenze des And. im Gegensatz zur Nordgrenze des Ahd. nicht kontrovers diskutiert wird, ist noch kein Beweis für die Sicherheit ihres Zusammenfalls mit der IJssellinie der Mundartforschung. In der postulierten mittelalterlichen Dreiteilung gehörte der Nordosten des heutigen nl. Sprachgebiets (östlich der Grenze des Einheitsplurals auf -(e)t) zum Nd., der nördliche dt. Niederrhein (westlich der Grenze des Einheitsplurals und nördlich der Benrather Linie bzw. der ihr vorgelagerten seggen/sagen-Linie) zum Nl., ein Streifen im Südosten der nl. Provinz Limburg und im Nordosten der belgischen Provinz Lüttich (östlich der Benrather Linie bzw. der seggen/sagen-Linie) zum Hd. Die in Klammern genannten Linien trennen aber moderne Mundartgebiete, die erste auf Makroebene das Niederfränkische und Niedersächsische, auf Mikroebene Utrechtsch und Westsassisch (auf nl. Boden) sowie Kleverländisch | |
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bzw. Südniederfränkisch und Westfälisch (auf dt. Boden), die zweite und dritte das Limburgische/Südniederfränkische und das Ripuarische. Es sind keine unbedeutenden Mundartgrenzen, doch ginge die Behauptung, sie trennten Gebiete mit grundsätzlich verschiedenen Mundartsystemen, in denen jeweils eine innere Kohärenz vorherrsche, zu weit. In jedem der drei Großareale sind Isoglossenbündel nachzuweisen, deren trennende Funktion mit jener der Einheitsplural-, maken/machen- oder seggen/sagen-Linie durchaus verglichen werden kann. Die erste dieser Isoglossen bringt übrigens eigentümliche Probleme mit sich, die in diesem Zusammenhang nicht behandelt werden können. Es kommt hinzu, daß die Annahme eines identischen Grenzverlaufs dieser Linien im Mittelalter sowie einer identischen Zusammensetzung ihrer Elemente unbeweisbar ist. Was wir in Schriftstücken seit dem 14. Jahrhundert beobachten können, sind in der Regel gleitende Übergänge in den Schreibungen variabler Spracherscheinungen, die sich später in der gesprochenen Mundart kategorisch heterodialektal (mit Hilfe von Linien abgrenzbar) verteilen. Die geographische Streuung der Variation ist manchmal sehr breit. Das braucht nicht auszuschließen, daß bei Summierung der untersuchten Erscheinungen relativ schmale Randstreifen mit Grenzsaumfunktion entstehen können. Darüber wissen wir aber im Augenblick recht wenig, auf jeden Fall zu wenig, um auf der Grundlage des spätmittelalterlichen Materials Grenzstreifen zu ziehen, die die aus den modernen Dialekten extrapolierten Grenzlinien ersetzen könnten. Zur Abrundung der Darstellung der mittelalterlichen Sprachgrenzproblematik möchte ich darauf hinweisen, daß der Übergang zwischen Mnl. und Mnd. mir sehr breit (von Utrecht bis Ostwestfalen) und relativ gleichmäßig gestaffelt scheint, was das Konzept eines Sprachsystemgegensatzes fragwürdig macht, und daß der mittelripuarisch/mittellimburgisch-südniederfränkische Grenzsaum der Benrather Linie noch etwas weiter vorgelagert sein dürfte als die seggen/sagen-Linie, was als Ansatz der ‘Eindeutschung’ des nördlichen Niederrheins gedeutet werden kann. In den drei angenommenen Großarealen werden beim Ausgang des Mittelalters Orientierungen der Schreibsprachen immer deutlicher sichtbar: im hd. nach Süden, im nl. nach Westen, im nd. nach Nordosten. Die volkssprachliche Buchproduktion verstärkt diese Tendenz sehr. Im Laufe des 16. Jahrhunderts werden dann die regionalen bzw. regional gefärbten Schreib- und Druckersprachen durch überregionale Schriftsprachen, die Vorläufer der modernen Standardsprachen (Hoch)deutsch | |
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und Niederländisch, ersetzt. Aus der noch lockeren Dreiteilung wird durch diesmal unbezweifelbare Sprachgrenzbildung eine feste Zweiteilung, deren Grenzverlauf durch politische Ereignisse bestimmt wird. Das Nd. entwickelt sich nicht zu einer modernen Schriftsprache. Sein Gebiet wird zum allergrößten Teil vom Hd. eingenommen, zum kleinen Teil vom Nl. In letzter Instanz hat sich die (hoch)dt.-nl. Sprachgrenze dann sowohl im historisch nd. Gebiet als auch südlich davon auf der politischen Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande stabilisiert; sie vertieft sich hier auf drei verschiedene Weisen, auf die im folgenden einzugehen ist. Im kleinen belgischen Zipfel mit germanischen Mundarten südwestlich von Aachen ist dagegen noch keine Stabilisierung der Sprachverhältnisse eingetreten. | |
1. Die SchriftspracheDie Sprachgrenzbildung wird zuerst in der Schriftsprache sichtbar. Zu ihr rechne ich nicht nur die geschriebene und gedruckte, sondern auch die in formalen Situationen gesprochene Sprache, die sich an den Schreib- und Druckerzeugnissen orientiert. Für vergangene Jahrhunderte ist diese Orientierung in zwei Domänen mehr oder weniger kontrollierbar. Dies sind die Schule und die Kirche. Im ersten Fall geht es um die Unterrichtssprache, die an Bedeutung gewinnt, weil in der Neuzeit breitere Bevölkerungsschichten am Unterricht beteiligt werden, im zweiten um die Sprache der Predigt, des Religionsunterrichts und des - vor allem in protestantischen Gegenden wichtigen - Kirchengesangs. Der formale mündliche Sprachgebrauch der früheren Neuzeit in der Verwaltung und vor Gericht kann dagegen kaum überprüft werden. Die modernen Medien Rundfunk und Fernsehen erscheinen erst in einem Augenblick, als die Herausbildung der Sprachgrenze fast überall abgelaufen ist; ihrem Wesen nach sind sie übrigens zur Erforschung eines genauen Grenzverlaufs nicht geeignet. Das Studium des Entstehens der Schriftsprachengrenze im historisch nd. Gebiet ist bereits ein gutes Stück vorangekommen; weiter südlich ist die Lage weit weniger befriedigend. Neuerdings haben TaubkenGa naar voetnoot1 und KremerGa naar voetnoot2 Überblicke über den Forschungsstand an dt. Seite der | |
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heutigen Grenze gegeben und selbst Fakten hinzugefügt; für den nl. und belgischen Grenzraum gibt es eine schon etwas ältere und auch wesentlich knappere Übersicht von meiner Hand, die leider auf nicht ausreichenden Vorarbeiten beruhtGa naar voetnoot3. Für die dt. Gebiete möchte ich Taubkens und Kremers Zusammenfassungen nicht wiederholen; ich fasse mich äußerst knapp und betone dabei vor allem die Desiderate. Im historisch nd. Gebiet ist die alte Bistumgrenze zwischen Utrecht und Münster zur Staatsgrenze geworden. Die Voraussetzungen für das Entstehen einer mit ihr zusammenfallenden Schriftsprachengrenze wurden in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts geschaffen. Kaiser Karl V. brachte zwischen 1528 und 1543 die Territorien Overijssel, Groningen, Drente und Geldern, deren Ostgrenzen mit der Scheide zwischen den genannten Diözesen deckungsgleich waren, unter seine Macht; sie wurden 1548 mit den anderen nl. Territorien zum burgundischen Kreis zusammengefügt, für den 1549 eine gemeinsame Erbfolge vorgesehen wurde. Das Gebiet westlich der genannten Grenze wurde vom in östlicher Richtung expansiven Nl., das Gebiet östlich davon, mit seinen lockereren großterritorialen Bindungen, vom in nördlicher Richtung expansiven Hd. eingenommen. Von der ersten Regel gibt es, so weit bekannt, keine Ausnahmen, von der zweiten mehrere, insofern als in einer Reihe von deutschen Kleinterritorien entlang der Grenze das Nl. eine zeitlang als Schriftsprache neben dem Hd. fungiert hat. Als Ursachen dieser schriftsprachlichen Diglossie (in der Gesamtsituation des Sprachgebrauchs eine Triglossie) sind zu nennen: zeitweilige Zugehörigkeit zu den Niederlanden (Grafschaft Lingen, in gewisser Hinsicht auch Ostfriesland), kulturelle Expansion der Niederlande vor allem im 17. (dem ‘goldenen’) Jahrhundert, Festigung der reformierten statt der lutherischen Variante der neuen Religion. Selbstverständlich sind diese drei Ursachen eng miteinander verflochten. Es handelt sich um die Territorien Ostfriesland (den südwestlichen Teil), Bentheim mit der Herrschaft Lage, Lingen, schließlich eine Reihe von kleinen reformierten Enklaven im Münsterland: Steinfurt, Gronau, Gemen, Werth und Anholt. Daneben gab es noch einige überwiegend katholische Orte mit reformierten Gemeinden, in denen das Nl. schriftsprachliche Funktionen innehatte. Am besten ist die Grafschaft Lingen untersuchtGa naar voetnoot4, auch recht befriedigend der Südwesten | |
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OstfrieslandsGa naar voetnoot5, etwas weniger gut die Grafschaft BentheimGa naar voetnoot6, während Kremer in seiner Übersicht über die münsterländischen Enklaven zum Teil nicht über Vermutungen hinauskommen kannGa naar voetnoot7. Grob gesprochen hat das Nl. in allen genannten Gebieten seit dem 17. Jahrhundert neben dem Hd. schriftsprachliche Funktionen bekommen und diese im 19. Jahrhundert wieder abgetreten. Anfang und Ende schwanken von Gebiet zu Gebiet um mehrere Jahrzehnte; auch ist der Anteil des Nl. am Schrifttum recht unterschiedlich. Was die Verwendungsdomänen dieser Sprache betrifft, so steht die reformierte Kirche auf dem ersten Platz (in der Grafschaft Lingen spielt sie auch in der katholischen Kirche eine Rolle). Ihr folgt das Schulwesen. Die Amtssprache ist, da die in Frage kommenden Territorien fast ausschließlich in deutsch-preußisch-hannoverschen Zusammenhängen regiert wurden, in weit größerem Ausmaß hd. geworden und gebliebenGa naar voetnoot8. Eine so gut wie vollständige Niederlandisierung des Schriftwesens hat es für kurze Zeit (von 1685 bis nach 1702) wohl nur in der Grafschaft Lingen gegeben. Zusammenfassend: Nach einer Periode von durchschnittlich mehr als zwei Jahrhunderten Triglossie - formell, Domänengruppe A Nl.; formell, Domänengruppe B Hd.; informell nd. Mundart - hat sich der östlich der Staatsgrenze liegende Übergangsstreifen zwischen dem Dt. und dem Nl. aufgelöst; es ist eine Sprachgrenze in der Gestalt einer Linie entstanden. Links davon findet sich eine Diglossie von Nl. und Mundart, rechts eine von Dt. und Mundart. Im ehemaligen Übergangsstreifen sind noch gründlicher zu untersuchen: die Grafschaft Bentheim und die westmünsterländischen reformierten Kleinterritorien und Gemeinden. Südlich des Schneidepunkts der Staatsgrenze und der Grenze des | |
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Einheitsplurals ist die Forschungslage viel ungünstiger. Wenden wir uns zunächst dem niederfränkischen Dreieck zu zwischen der Einheitspluralgrenze, der seggen/sagen-Linie mit dem nl.-limburgischen Flaschenhals und der Maas mit dem dicken Isoglossenbündel nördlich von Roermond, das das brabantische Mundartgebiet an der Ostseite begrenztGa naar voetnoot9. Es umfaßt also das deutsche Niederrheingebiet nördlich vom Ripuarischen und die nördlichen zwei Drittel bis drei Viertel der nl. Provinz Limburg. Historisch gehören zu ihm das Herzogtum Kleve, das Oberquartier des Herzogtums Geldern, die Grafschaft Moers, das kurkölnische Amt Rheinberg und nördliche Streifen des geschlossenen Teils des Kurfürstentums Köln sowie des Herzogtums Jülich. Für die meisten dieser Territorien haben die Grenzziehungen des 16. Jahrhunderts und die nachträglichen Besitzübergänge an binnendeutsche Fürsten eine allmähliche Herauslösung aus westlichen Zusammenhängen und eine Integration in das dt. Sprachgebiet bedeutet. Doch scheint diese mühsam verlaufen zu sein, was erstens dem Umstand zuzuschreiben ist, daß der Abstand von der spätmittelalterlichen Schreibsprache dieser Gebiete zur sich im Westen herausbildenden neunl. Schriftsprache klein war, und zweitens dem Prestige, das die Niederlande in diesen nach Westen offenen Territorien im 17. und 18. Jahrhundert hatten. Für die Grafschaft Moers kommt hinzu, daß sie im 17. Jahrhundert oranisch war. Was das geldrische Oberquartier betrifft, hier hätten die politischen Entscheidungen von 1543 und 1548 die weitere reibungslose Integration in nl. sprachliche Zusammenhänge bedeuten können, doch hat die weitere neuzeitliche Geschichte dieses Gebiets zu Komplikationen geführt. Die Teilung der Niederlande als Folge des Aufstandes gegen Spanien hatte die Zugehörigkeit zu den südlichen, spanischen Niederlanden zur Folge. Die Verträge nach dem spanischen Erbfolgekrieg führten 1715 zu einer Dreiteilung: der größere, nördliche Teil, einschließlich der Gebiete westlich der Maas, von Venray bis Helden, wurde preußisch, während der kleinere, südliche Teil auf eine komplizierte Weise zwischen den Generalstaaten und den österreichischen Niederlanden aufgeteilt wurde. Zu den österreichischen Niederlanden gehörten u.a. Roermond und die Enklave Erkelenz, zu den Staaten u.a. die Enklave Venlo. Man wird also vermuten müssen, daß in einem beträchtlichen Teil von Nl.-Limburg das Dt. nach 1715 wenigstens die schriftsprachliche Funktion eines Teils | |
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der Verwaltungssprache eingenommen hat, und daß die Anfänge der hd. Schriftsprache im größeren Teil des dt. Flügels des Oberquartiers bis in diese Zeit zurückreichen. Nach der Eroberung der österreichischen Niederlande durch Frankreich 1794 und durch die Abtretung der Länder an der Maas durch die Generalstaaten 1795 kamen die südlichen Teile des Oberquartiers wieder zusammen; sie wurden mit anderen Territorien in einem Niedermaas-Departement vereint. Der preußische Teil wurde durch den Wiener Kongreß 1815 zweigeteilt; die Grenze zwischen Preußen und dem neuen Königreich der Niederlande wurde hier etwas östlich von der Maas parallel mit diesem Fluß gezogen; sie fügte auch einen westlichen Streifen des Herzogtums Kleve zu den Niederlanden. Das Dt. muß also an der Maas nördlich von Roermond eine schriftsprachliche Existenz von genau einem Jahrhundert geführt haben; im klevischen Zipfel werden die Anfänge noch ein Jahrhundert älter sein. Doch müssen alle ausgesprochenen Vermutungen über die Geschichte der Schriftsprachen an Maas und Niederrhein noch am Material selbst überprüft werden. Von nl. Seite ist m.W. bisher nichts geschehen, von dt. viel zu wenig, doch hat sich hier die Untersuchungslage in den letzten Jahren geändert. Aus Studien von u.a. MergesGa naar voetnoot10 und TervoorenGa naar voetnoot11 ist deutlich geworden, daß man auch hier Domänen und Textsorten unterscheiden muß, in denen der Verhochdeutschungsprozeß einen unterschiedlich schnellen und intensiven Verlauf hatte, wobei auch die geographische Lage der Orte eine Rolle spielte: es scheint ein Südnordgefälle in der Verwendung des Hd. gegeben zu haben. Der Übergang hat sich im großen und ganzen zwischen dem späten 16. und der Mitte des 19. Jahrhunderts abgespielt. Die Amtssprache ging in der Regel bei der Verhochdeutschung wohl voran; ihr folgte die Schule (hier haben Maßnahmen der preußischen Verwaltung eine ausschlaggebende Rolle gespielt)Ga naar voetnoot12; den letzten Schritt machte die katholische Kirche. Was die Minderheiten betrifft, so ist das Hd. bei den Lutheranern von Anfang an die herrschende Sprache gewesen, | |
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während bei den Mennoniten das Nl. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts dominiert hat; die Sprachverhältnisse bei den Reformierten gestalten sich recht kompliziert. Die künftige Erforschung des Niederrhein-Maasgebiets muß m.E., weil das Areal zu groß und zu differenziert ist, eine systematische Arbeitsverteilung durchführen. Als Gliederungsprinzipien bieten sich die Grenzen der Territorien und Teilterritorien sowie die Domänen an. Einen dritten Problemkomplex bildet der Süden von Nl.-Limburg mit dem germanischsprachigen belgischen Übermaasgebiet, das bis 1963 ganz der Provinz Lüttich gehörte und dessen westlicher Teil (die Voergegend) seitdem eine belgisch-limburgische Exklave östlich der Maas bildet. Von den Territorien dieses im Ancien Régime äußerst zerstückelten Gebiets hat das Land von Herzogenrath einen Flügel nördlich von Aachen, der 1815 preußisch geworden ist, während umgekehrt das Herzogtum Jülich, mit seinem Schwerpunkt auf dt. Boden, auch das Areal umfaßte, das 1815 zum limburgischen Flaschenhals östlich der Maas wurde. Die anderen etwas wichtigeren Territorien aus dieser Gegend sind das Herzogtum Limburg südwestlich von Aachen (nicht mit den beiden Provinzen Limburg zu verwechseln!), das schon nach der Schlacht bei Worringen 1288 durch Personalunion mit Brabant verbunden wurde, sowie die Länder Valkenburg und Dalhem östlich und südöstlich von Maastricht. Die beiden letzteren bildeten schon im Spätmittelalter zusammen mit Herzogenrath die ‘Landen van Overmaas’. Sie kamen, ebenso wie das Herzogtum Limburg, unter burgundische und habsburgische, das heißt unter westliche Macht. Andererseits lagen all diese Kleinterritorien im engen Umkreis der freien Reichsstadt Aachen, und es befanden sich in bunter Mischung zwischen ihnen eine Reihe von kleinen Reichsherrlichkeiten, die sicher zum Teil stark nach Aachen orientiert waren. Die Benrather Linie schlägt einen östlichen Rand des beschriebenen Gebiets zum ripuarischen Osten, die seggen/sagen-Linie einen westlichen Rand zum rein niederfränkischen Westen. Auch in diesem dritten Problemgebiet ist die Forschungslage ungünstig. Für den belgischen Teil gibt es eine mit Vorsicht zu verwendende, stark polemische ältere LiteraturGa naar voetnoot13, für den nl. eine auch nicht neutrale, beschränkte Untersuchung von ScherdinGa naar voetnoot14, für den kleinen dt. Teil m. | |
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W. nichts. Allerdings hat sich in den letzten Jahren durch die Veröffentlichung der Dissertation von Otten über SittardGa naar voetnoot15 und die von Wintgens über das Herzogtum LimburgGa naar voetnoot16 die Lage verbessert. Die Aufteilung der genannten Kleinterritorien unter die Generalstaaten und die Spanischen bzw. Österreichischen Niederlande spielt für die sprachliche Orientierung nur insofern eine Rolle, als sich in den österreichischen Gebieten das Französische als Verwaltungssprache neben dem Nl. durchsetzte. Vorher, im Spätmittelalter und am Anfang der Neuzeit, verwendete der Westen unseres Areals eine limburgisch, der Osten eine ripuarisch gefärbte Schreibsprache. Die Grenze zwischen beiden ist nicht bekannt, vielleicht war sie eher eine Vibrierzone, auf jeden Fall lag sie wenigstens im Süden ein Stück westlicher als die Benrather Linie. Im Herzogtum Limburg wird der westliche Einfluß im 17. Jahrhundert stärker; die Verwaltungssprache wird immer mehr Nl., doch setzt sich das Hd. als Schul- und Kirchensprache durch. In der Jülicher Stadt Sittard, im Flaschenhals, wird im Jahr 1556 ‘eine mittellimburgische Schreibtradition durch eine hochdeutsche Schreibtradition ersetzt’Ga naar voetnoot17. Für den Süden von Nl.-Limburg hat Scherdin seine Untersuchung von Grabinschriften auf Friedhöfen aus dem 17. Jahrhundert auf die ‘Schriftsprache im 17., 18. und Beginn des 19. Jahrhunderts’ extrapoliert. Ein östlicher Streifen, von Brunssum bis Eupen, mit u.a. den Orten Heerlen, Kerkrade und Vaals hat ausschließlich dt. Grabinschriften, ein schmaler vorgelagerter Streifen dt. und nl. sowie gemischtsprachigeGa naar voetnoot18. Die französische Zeit ist für unsere Fragestellung nur wichtig, weil die Grenzziehung zwischen den Departements Niedermaas und Ourthe östlich der Maas 1815 als Provinzgrenze übernommen wurde, die ihrerseits nach der belgischen Revolution zur Staatsgrenze wurde, was für die weitere sprachliche Entwicklung schwerwiegende Konsequenzen hatte. Im Wiener Kongreß war auch die Grenze zwischen den Niederlanden und Preußen gezogen worden. Der Flaschenhals wurde dadurch nl.; er wurde seitdem endgültig (re)niederlandisiert. Der Teil Herzogenraths | |
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ö.stlich der Wurm wurde preußisch; vermutlich hat dies aber keine Wiedereinführung des Hd., sondern die Sicherung einer Kontinuität bedeutet. Anders verhielt es sich im östlichen Streifen des Herzogtums Limburg, der zum preußischen Kreis Eupen wurde. Hier wurde die Verhochdeutschung so intensiv durchgeführt, daß die Annektierung durch Belgien 1920 seinen schriftsprachlich hd. Charakter nicht im geringsten gefährdet hat. Höchstens ist seitdem eine französische Überlagerung dazugekommen. Der Südosten von Nl.-Limburg hat seit 1815 nach und nach das Dt. als Schriftsprache aufgegeben und durch das Nl. ersetzt. Beschleunigt wurde dieser Prozeß durch die Entwicklung des südlimburgischen Bergbaus seit dem Ende des 19. Jahrhunderts: im Industriegebiet um Heerlen wurden viele Zugezogene ansässig. Scherdin verdeutlicht den Rückgang des Hd. durch fünf Kartenskizzen, die die Sprachverhältnisse vom Beginn des 19. Jahrhunderts über 1890, 1910, 1920 bis 1935 darstellen, aber wohl gutteils nur auf Impressionen beruhen. Die Grenzorte bei Aachen östlich der Benrather Linie scheinen besonders resistenzfähig gewesen zu sein. Als Reaktion auf den dt. Einfall am 10. Mai 1940 verschwand die letzte Spur des Hd. aus der Kirche; von nun an wurde nur noch nl. gepredigtGa naar voetnoot19. Der Teil des Übermaasgebiets, der 1815 nl. und nach der belgischen Revolution belgisch wurde, hat seitdem eine bewegte Sprachgeschichte erlebt, die hier nur ganz grob zusammengefaßt werden kann. Das Areal gehörte zur wallonischen Provinz Lüttich. Erste Verwaltungssprache war das Französische, während das Nl. wie im 18. Jahrhundert administrative Funktionen erfüllte. Das Dt. war im östlichen Teil Schul- und Kirchensprache; es hat zwischen 1830 und 1890 nach und nach in diesem Teil das Nl. als Verwaltungssprache verdrängt. Der Westen (die sechs Voerdörfer plus Aubel) hielt am Nl. in den drei Funktionen fest, doch wurde der französische Einfluß in der ganzen Gegend stärker. Nach dem ersten Weltkrieg wendeten sich der Teil östlich der Voergegend und westlich des neuen belgischen Kantons Eupen, das sog. Altdeutschbelgien und der Ort Aubel viel stärker dem Französischen zu, was bedeutet, daß Dt. | |
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und Nl. durch die Entstehung eines französischen Keils hier allmählich auseinanderwachsen. Diese Entwicklung wurde durch den zweiten Weltkrieg schlagartig beschleunigt. Altdeutschbelgien bekennt sich im allgemeinen zur Wallonie, die jüngeren Generationen sind in der Regel auf Französisch sozialisiert worden; das Dt. spielt auch in der Kirche kaum noch eine Rolle. Seit der belgischen Sprachgesetzgebung von 1962 mit der Festlegung der Sprachgrenze gehört es offiziell zur Wallonie; die Gemeinden haben das Recht, bei der Verwaltung und im Unterricht der deutsch- oder niederländischsprachigen ‘Minderheit’ gewisse sprachliche Erleichterungen (facilités, faciliteiten) zu gestatten; sie machen aber von diesem Recht keinen Gebrauch. Der Kanton Eupen ist offiziell deutschsprachig mit der Verpflichtung, der Französisch sprechenden Minderheit Fazilitäten zu gewähren. Die Voergegend wurde als Nl. sprechendes Gebiet Teil der Provinz Limburg, ebenfalls mit Fazilitäten für die Französisch sprechende Minderheit. Zusammenfassend: Vom Dollart bis zum Dreiländereck bei Aachen hat sich in der Neuzeit eine feste Schriftsprachengrenze zwischen Dt. und Nl. herausgebildet, die mit der Staatsgrenze zusammenfällt; im germanischsprachigen belgischen Zipfel südwestlich von Aachen sind die dt. und die nl. Schriftsprache durch das Entstehen eines französischen Keils (Altdeutschbelgien und Aubel) dagegen auseinandergewachsen; hier hält sich das Germanische fast nur in der Gestalt von limburgisch-ripuarischen Übergangsmundarten, die jedoch ihrerseits als Sprache des täglichen Verkehrs auch schon durch das Französische verdrängt werden. Es ist deutlich, daß in diesem wie im anderen Teil des dritten Problemgebiets noch sehr viele Detailuntersuchungen notwendig sind, in denen man es sich wegen der großen Zerbröckelung im Ancien Régime, der Domänenverteilung der Sprachen und der Dynamik der seitherigen Entwicklung nicht erlauben kann, grobmaschig zu arbeiten oder sich auf einzelne Domänen bzw. Textsorten zu beschränken. | |
2. Die UmgangsspracheDie in der frühen Neuzeit entstehenden überdialektalen, sich mehr oder weniger an die Schriftsprachen anlehnenden Umgangssprachen finden nicht sofort in allen Teilen der Sprachgebiete, bei allen Bevölkerungsschichten und in allen Situationen Verwendung. Sie verdrängen im Gegenteil die Mundarten erst allmählich und stufenweise als Sprache des Alltags: unter geographischem Aspekt von den Kerngebieten zu den | |
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Peripherien, unter soziologischem von den Prestigeschichten zu den unterprivilegierten, unter situativem von den formaleren Situationen zu den informelleren. Sprachgrenzbildend wird dieser Prozeß, sobald die dt. und die nl. Umgangssprache sich in einer Grenzzone begegnen und ihre Verbreitung dort stabilisieren. Abgelaufen ist er in dem Augenblick, wo die Mundarten in der Grenzzone bei allen Sprechern in allen Situationen mit dem Merkmal ‘autochthon’ durch die jeweilige Umgangssprache ersetzt sind. Ein zentraler Punkt in der Entwicklung ist die Sprache der Sozialisation der Kinder durch die Eltern: gehen sie von der Mundart zur Hochsprache über, so entsteht ein Bruch zwischen den Generationen, der zwar durch sekundären mundartlichen Spracherwerb noch etwas geglättet werden kann, aber doch den Anfang vom Ende der Mundart markiert. Die Anfänge dieser Entwicklung an der dt.-nl. Grenze entziehen sich unserer Beobachtung. Wir können wohl annehmen, daß es im 18. Jahrhundert in der Grenzgegend schon Einwohner gab, die auch in bestimmten anderen Situationen als den schriftsprachlichen keine Mundart, sondern Nl. bzw. Hd. sprachen, und auch, daß die geographische Verteilung der beiden Umgangssprachen mit jener der Schriftsprachen deckungsgleich war. Man muß jedoch berücksichtigen, daß die Grenzgegend für jede der beiden Sprachen per definitionem eine Peripherie ist; die Entwicklung muß deshalb später eingesetzt haben und langsamer verlaufen sein als in der jeweiligen Kernzone. Konkrete Daten für die Zeit vor den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts liegen jedoch nicht vor. 1936 und 1939 fanden in Westfalen bzw. Niedersachsen großflächige Befragungen statt, die sich auf die Sprache der Sozialisation konzentrierten. Die westfälischen Ergebnisse wurden 1939 von Schulte Kemminghausen, die niedersächsischen 1943 von Janßen veröffentlichtGa naar voetnoot20. Sie zeigen, daß gerade im dt. Grenzland, also im Emsland und im Westmünsterland, die Mundart noch am stärksten war; hier sozialisierten meistens noch über drei Viertel der Eltern ihre Kinder auf Platt, außer in den Städten. Vermutlich war also am Vorabend des zweiten Weltkrieges die dt.-nl. Sprachgrenze als Grenze der Umgangssprachen noch relativ schwach ausgeprägt, doch | |
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kann den Ergebnissen der Befragungen an dt. Seite leider keine einzige nl. Zahl gegenübergestellt werden. Seit den sechziger Jahren sind dann von nl. Seite mehrere kleinere Untersuchungen von recht unterschiedlichem Niveau durchgeführt worden, die einen Vergleich erlauben. Im Streifen entlang der dt. Grenze gilt das für eine sich von Norden nach Süden erstreckende Kette von Orten mit einer relativ gleichmäßigen Streuung. Was den südlichen Teil dieser Kette betrifft, haben sie den Vorteil, daß in der Regel eine Stadt zusammen mit einem benachbarten Dorf untersucht wurdeGa naar voetnoot21. Obwohl sie durch die Art der Fragestellungen nicht immer direkt untereinander und mit den genannten dt. vergleichbar sind, erinnern die Zahlen stark an die dt. im gegenüberliegenden Grenzstreifen in den dreißiger Jahren: zwischen etwa 80 und fast 100% Dialekt auf dem Lande, zwischen 50 und 75% in den Städten. In zwei Städten hatte das Nl. jedoch schon ein starkes Übergewicht: in der Großstadt Groningen und in der Industriestadt Heerlen. Man gewinnt global den Eindruck, daß die Umschaltung auf die Standardsprache an der nl. Seite der Grenze später angefangen hat und im Augenblick auch weniger weit vollzogen ist als an der dt. Seite. Daß die Verhältnisse - wie zu erwarten - in den Jahrzehnten nach dem Krieg im dt. Grenzraum weiter zugunsten des Hd. verschoben sind, wird von Selhorsts flächendeckender Untersuchung des Altkreises Borken mit Material aus dem Jahre 1964 exemplarisch deutlich gemachtGa naar voetnoot22. | |
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Es wird hier ein sehr starker Rückgang der Mundart ersichtlich. Der niedrigste Prozentsatz des Dialekts als Sprache der Sozialisation findet sich in der Stadt Borken mit 8% (1936 waren es noch zwischen 40 und 50%!)Ga naar voetnoot23, während nur noch in drei der 39 Orte Werte über 80% erreicht werden. Der Fortschritt des Hd. wird bei Selhorst noch deutlicher, weil er mehrere Gesprächssituationen bei drei Generationen berücksichtigt. Kremer, der hier 1981 eine nochmalige Befragung durchführte, die er auf den ganzen Großkreis Borken ausdehnte, stellte einen nochmaligen starken Rückgang der Mundart fest: ‘Im Umgang der Väter mit den Kindern [...] entfallen auf die Gruppe der Landwirte wieder die höchsten Werte: sie liegen allerdings auch in dieser letzten “Mundartbastion” nur noch bei 34,1% (17,9% nur Platt, 16,2% überwiegend Platt) und fallen dann sprungartig auf 6,8% bei den Arbeitern, 1,7% bei den Angestellten und 0% bei den leitenden Angestellten ab. Die Mütter der jeweiligen Berufsgruppen [...] gebrauchen [...] noch weniger die Mundart’Ga naar voetnoot24. Auch hier wird die immer stärkere Zuwendung zum Hd. durch andere Teile der Befragung weiter verdeutlicht. Die Eindrücke, daß erstens die nl.-dt. Staatsgrenze auch unter dem Aspekt der Umgangssprache immer mehr zur Sprachgrenze wird, und zweitens der Übergang zur überregionalen Sprachform an dt. Seite weiter fortgeschritten ist als an nl. Seite, werden von zwei jüngeren Untersuchungen bestätigt, in denen gleichzeitige Daten aus einem Streifen links und aus einem rechts von der Grenze miteinander verglichen werden. Merges, der allerdings mit sehr niedrigen absoluten Zahlen arbeitet, stellt für die Düffel, einem kleinen Gebiet zwischen Nimwegen und Kleve, u.a. fest: ‘Von 11 niederländischen Gesprächspartnern [...] geben [...] sieben (=64%) an, daß ihre Kinder die Mundart sprächen; von 26 deutschen Informanten [...] waren es dagegen nur acht (= 31%)’Ga naar voetnoot25. Kremer widmet dem Problem im Grenzgebiet Twente-Achterhoek/Westmünsterland-Bentheim das sechste Kapitel seiner Dissertation und veranschaulicht die Ergebnisse von Befragungen seiner Infor- | |
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manten auf mehreren KartenGa naar voetnoot26. Generell ist die Verwendung des Hd. wieder u.a. bei der Erziehung der Kinder auf dt. Seite weiter fortgeschritten als die des Nl. auf nl. Seite, doch gibt es im Westmünsterland ein Südnordgefälle: die Bevölkerung im Süden ist, ‘was die Arbeitsplätze und die Einkaufsgelegenheit betrifft, stark auf das Ruhrgebiet oder auf Münster orientiert; im selben Gebiet liegen auch stark besuchte Ausflugsziele für die Bevölkerung des Ruhrgebiets. Die Folge ist, daß in dieser Zone der Dialektgebrauch stärker zurückläuft als weiter nördlich’Ga naar voetnoot27. Dieses Zitat macht zugleich deutlich, daß starke Verallgemeinerungen beim Vergleich der dt. und der nl. Entwicklung nicht ungefährlich sind, zumal über den ganzen dt. Grenzstreifen von Kranenburg bis Aachen überhaupt keine Zahlen bekannt sind. Sehr zu begrüßen wäre es also, wenn eine parallele flächen-deckende Enquête in einem Streifen beiderseits der Grenze durchgeführt werden könnte. Darin wären die soziale und die situative Schichtung des Sprachgebrauchs in einem weit größeren Umfang zu berücksichtigen als in fast der ganzen bisherigen Forschung, die, wenn sie überhaupt differenzierte, vorwiegend auf Generationsunterschiede ausgerichtet war. Eine Folge der skizzierten Verschiebungen muß sein, daß die Mundart immer weniger als Verständigungsmittel beim Grenzübertritt geeignet ist. Für den Bereich Achterhoek-Twente-Westmünsterland-Bentheim wird ein Ansatz des Ersatzes des Dialekts durch eine Hochsprache von Kremer beobachtetGa naar voetnoot28; als Überbrückungsspräche wird weit häufiger das Hd. als das Nl. verwendet, was eine Widerspiegelung der Anerkennung des Dt. als einer ‘großen’ Sprache von nl. Seite und der mangelnden Beherrschung des Nl. von dt. Seite ist. Schließlich ist noch darauf hinzuweisen, daß die Umgangssprache, die in Altdeutschbelgien die Mundart verdrängt, die französische ist. Auch unter dem Aspekt der Umgangssprache kann man also im Nordosten der belgischen Provinz Lüttich von einem entstehenden Keil zwischen der Ostgrenze des Nl. und der Westgrenze des Dt. sprechen. | |
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3. Die MundartenDie Dialekte des dt. und des nl. Sprachraums bildeten früher ein ununterbrochenes Kontinuum, in dem keine wichtigen Isoglossen mit der Grenze zwischen beiden Schriftsprachen koinzidierten. Vielmehr wurde und wird diese Grenze von einer Reihe bedeutender Dialektscheiden gekreuzt; auf diese Weise gibt es niedersächsische, ostsassisch-westmünsterländische, kleverländische, südniederfränkische und ripuarische Mundarten sowohl links als auch rechts der Grenze. Die Herausbildung eines schriftsprachlichen und anschließend eines umgangssprachlichen Gegensatzes an der Staatsgrenze ist jedoch nicht ohne Auswirkung auf die Mundarten geblieben; diese ändern sich dauernd durch Transferenzen aus der jeweiligen Schrift- bzw. Umgangssprache. Im Augenblick ist die Entwicklung so weit fortgeschritten, daß man ohne Bedenken links von der Grenze von nl. gefärbten, rechts von dt. gefärbten Mundarten reden kann. Sanders nimmt sogar an: Diese Dialekte ‘haben sich, wie mir aus eigener Erfahrung bekannt ist, diesseits und jenseits der Grenze spätestens aufgrund der Kriegs- und Nachkriegsverhältnisse derart auseinanderentwickelt (und zwar in Annäherung an die jeweilige Hochsprache), daß eindeutig hüben von deutschen, drüben von niederländischen Mundarten zu sprechen ist’Ga naar voetnoot29. Kremer führt diesen Gedanken fort: ‘Dieser gegenwärtig zu beobachtende Sprachwandel erlaubt es uns heute, wie mir scheint, von einer sprachlichen Bruchstelle entlang der nl.-dt. Standardsprachgrenze zu sprechen. Es handelt sich dabei um eine zwar junge, noch nicht voll ausgebildete (und auch noch nicht bis ins Letzte untersuchte), aber dennoch nicht mehr zu übersehende und von Tag zu Tag in ihrer Bedeutung zunehmende Sprachgrenze, die nicht nur im subjektiven Empfinden ihrer (sic) Sprecher, sondern auch in objektiv wahrnehmbaren, an den Strukturen der jeweiligen Standardsprachen anknüpfenden sprachlichen Gegensätzen ihren Ausdruck findet’Ga naar voetnoot30. Er benutzt die Feststellung der Bruchstelle, um eine neue, strukturlinguistische Definition nl. und dt. Mundarten vorzuschlagen (in meiner älteren wurde angenommen, es sei nur eine soziolinguistische Definition möglich, in der das Verwandtschafts- mit dem | |
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Überdachungskriterium kombiniert wird)Ga naar voetnoot31. Die Weise, in der die dt. und die nl. Mundarten auseinanderwachsen und die dt.-nl. Sprachgrenze auf eine dritte Art ausgebaut wird, ist vor der Mitte der siebziger Jahre nicht Gegenstand linguistischer Untersuchungen gewesen. Kremer hat seitdem eine Reihe von Veröffentlichungen zu diesem Thema vorgelegt, in denen die Divergenzen theoretisch besprochen und für das Gebiet Achterhoek-Twente/Westmünsterland-Bentheim mit reichem Material demonstriert werdenGa naar voetnoot32. Seine Feststellungen und Annahmen lassen sich für den ganzen Grenzstreifen generalisieren. Dabei kann vermutet werden, daß mit unterschiedlicher Festigung der Umgangssprachen auch eine unterschiedliche Durchsetzung der Mundarten mit Transferenzen einhergeht. Dies bedeutet, daß neue Enquêten in anderen Grenzstreifen nicht überflüssig sind. Diese Hypothese könnte durch Paralleluntersuchungen der Sprachgrenzbildung im zweiten und im dritten Sinn überprüft werden. Die folgende stichwortartige Zusammenfassung der Problematik richtet sich nach Kremers Aufsatz von 1983Ga naar voetnoot33. Die Sprachgrenzbildung zwischen den dt. und nl. Dialekten kommt durch unterschiedlich orientierte Transferenz zustande. Diese ist als Integration von Interferenzen zu verstehen. Die Mundarten, sicher die der heutigen Zeit, sind nicht homogen; vielmehr ist Interferenz eine vielfach vorkommende Erscheinung, und zwar so, daß es Abstufungen in der Dialektizität einer Mundart gibt, die situativ und sozial determiniert sind. Hier ist noch sehr viel zu untersuchen. Die divergierende Umbildung der Dialekte ist zum Teil die Folge von Objektverlusten: ein großer Teil des gemeinsamen regionalen Wortschatzes verschwindet als Folge der technologischen Entwicklung. Umgekehrt schöpfen die dt. und nl. Dialekte bei der Befriedigung der neuen lexikalischen Bedürfnisse aus unterschiedlichen Quellen. Doch beschränkt sich die Umgestaltung der Mundart keineswegs auf die Lexik; sie kommt auch auf allen anderen Niveaus des Sprachgebrauchs vor, und zwar in sehr differenzierter | |
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Ausprägung. Zu ihnen gehören die Lautlehre (ein westmünsterländisches Beispiel ist der Ersatz von lucht durch luft), die Morphologie (Ersatz von wi bünt durch wi sünd ‘wir sind’), die Syntax (Ersatz von dat heff he nich wollen betalen durch dat heff he nich betalen wollen). Außerdem werden auch traditionelle lexikalische Elemente für Begriffe, die bestehen bleiben, ausgewechselt (Ersatz von löning durch spatz). Bei den modernen Kultur-wörtern kommen in der Wortbildung mehrere Abstufungen der Integration vor. Die Umorientierung der Mundarten kann auf zweierlei Weise untersucht werden: metachronisch, indem man einen Vergleich zweier oder mehrerer Dialektaufnahmen aus verschiedenen Zeiten mit Hilfe von Sprachkarten durchführt - dabei sind beiderseits der Grenze bereits Querschnitte mit einer zeitlichen Entfernung von einem Jahrhundert möglich -, und synchronisch. Auch letzteres ist möglich, weil aus Sprachkarten mit Material aus nur einem Zeitabschnitt eine Dynamik von Sprachbewegungen abgelesen werden kann. Vom Standpunkt des Sprachgeographen können die Veränderungen prinzipiell auf zwei Typen reduziert werden: Es gibt horizontale und vertikale Veränderungen. Die ersten kommen zustande, weil die Mundarten voneinander Neuerungen übernehmen, was auf den Karten durch die Herausbildung traditioneller sprachgeographischer Muster (Trichterbildung, Inselbildung usw.) ersichtlich wird. Die vertikalen Veränderungen sind nicht mehr das Ergebnis des Einflusses von Städten oder dominierender Dialektgebiete, sondern des überdachenden Einflusses der Standardsprache. Dieser Typ kommt immer häufiger vor, doch stellt Kremer bei mehr als zwei Dritteln seiner Karten um 1975 an der dt.-nl. Grenze noch horizontale Veränderungen fest. Im Sonderfall des belgischen Übermaasgebiets kann a priori vermutet werden, daß das Mittelstück Altdeutschbelgien unter dem Einfluß der französischen Umgangssprache Neuerungen durchführt, die sowohl vom östlich angrenzenden, auf das Dt. orientierten Neudeutschbelgien als vom auf das Nl. gerichteten limburgischen Norden und Westen abweichen, oder aber sich durch das Fehlen von Neuerungen von allen angrenzenden germanischen Dialekten unterscheidet. Seit kurzem sind wir durch Cajots Arbeit darüber besser informiertGa naar voetnoot34. Solche Fälle kommen | |
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tatsächlich vor. Ein Beispiel der in drei Richtungen divergierenden Entwicklung bieten die Bezeichnungen für die Tiefkühltruhe: Truhe im westlichen Rheinland und Neudeutschbelgien, diepvries in Nl.- und Belgisch-Limburg, einschließlich der Voergegend (hier allerdings beschränkt auf die sich zu Flandern bekennenden Sprecher), congélateur in Altdeutschbelgien und bei den Sprechern der Voergegend, die sich zur Wallonie bekennenGa naar voetnoot35. Auch unter dem Aspekt der Dialekte bildet sich also am südlichen Ende der dt.-nl. Sprachgrenze ein Keil zwischen beiden Sprachen. Der Anteil des modernen Kulturwortschatzes an der Gestaltung der Dialekte ist recht beträchtlich; da die Unterschiede zwischen der dt. und der nl. Standardsprache auf diesem Gebiet auffällig sind, ist die linguistische Bedeutung der Sprachgrenze als Mundartscheide auf jeden Fall bedeutsam. Doch fehlt es diesen Erscheinungen an der Systematik, die bei divergierender lautgesetzlicher Entwicklung von Mundarten im Bereich der Phonologie zu Strukturgegensätzen führt. Dieser prinzipielle Unterschied wird durch die unsystematischen lautlichen Anpassungen an die jeweilige Standardsprache und auch durch die systematischeren morphologisch-syntaktischen Angleichungen, die eine deutlich niedrigere Frequenz haben, nicht überbrückt. Das sonst für die Begrenzung von Sprachgebieten vielfach verwendete Kriterium der dialektalen Bruchstelle scheint hier also eher den Eindruck einer Akkumulation von Einzelgegensätzen als den eines systematisierten Kontrasts zu erwecken. Doch sind Ansätze von Systematisierungen lautlicher Gegensätze über kürzere Strecken bekanntGa naar voetnoot36. Ich bin überzeugt, daß heute phonologische Systemgegensätze über beträchtliche Entfernungen wenigstens tendenziell vorkommen, die Scheide zwischen den dt. und den nl. Dialekten also Systemcharakter bekommt bzw. schon hat. Da keine synchronen flächendeckenden mündlichen Befragungen im phonologischen Bereich beiderseits der Grenze durchgeführt worden sind, ist es allerdings nicht möglich, vollkommen schlüssige Beweise zu erbringen. Ein Kontrast, der mehr oder weniger deutlich konstruiert werden kann, findet sich beim Verhältnis von s, sχ und š bei Wörtern mit germ. sk und s. Altes | |
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anlautendes s vor p, t, l, m, n, w erscheint im Dt. als š, im Nl. als s (z vor w). In diesen Fällen hatte schon der ganze Niederrhein am Anfang dieses Jahrhunderts šGa naar voetnoot37, während an nl. Seite š nur in einem südöstlichen Streifen vorkommt; um 1950 erreichte die s/š-Scheide hier die dt. Grenze südlich von VenloGa naar voetnoot38. Die alte anlautende Konsonantengruppe sk-erscheint im Nl. als sχ, im Dt. wieder als š. Hier wurden am Anfang dieses Jahrhunderts am nördlichen Niederrhein die letzten sχ-Reste aufgeräumt und durch š ersetztGa naar voetnoot39; auf nl. Seite, wo ein diesmal größerer Teil des Limburgischen š hat, erreichte die sχ/š-Scheide ebenfalls die dt. Grenze südlich von VenloGa naar voetnoot40. Da im Westfälischen neuerdings eine Tendenz beobachtet werden kann, anlautendes sχ durch š zu ersetzenGa naar voetnoot41, dürfte der Teil der sχ/š-Isoglosse, der mit der Staatsgrenze koinzidiert, sich künftig in nördlicher Richtung verlängern. In- und auslautend ist altes sk im Nl. zu s geworden, im Dt. wieder zu š. Der Teil des Limburgischen, der š hat, ist in dieser Position am kleinsten. Die s/š-Grenze erreicht die Staatsgrenze südöstlich von RoermondGa naar voetnoot42. Hier zog Ramisch 1908 eine Linie durch den westlichen Teil des Niederrheingebiets von östlich Venlo bis südlich IssumGa naar voetnoot43. Hanenberg betonte aber sieben Jahre später, daß mehrere von Ramisch noch zum s-Gebiet geschlagene Orte ‘ein starkes Schwanken’ von s und š aufwiesenGa naar voetnoot44. Auch hier wurde der Teil der Strukturgrenze, der mit der Staatsgrenze zusammenfällt, also länger, auch hier kann auf eine westfälische Tendenz hingewiesen werden, diesmal sk durch š zu ersetzen41. Zusammenfassend kann also gesagt werden, daß die Staatsgrenze in einem beträchtlichen Teil des limburgisch-niederrheinischen Bereichs bei den s-, š- und sχ-Lauten zur Strukturgrenze geworden ist; dieser Teil tendiert dazu, sich auszudehnen, weil östlich davon das dt. š sich in allen genannten Positionen immer weiter nach Norden, und westlich davon das nl. s bzw. sχ mit seiner eigenen Verteilung sich (weniger expanisv) immer weiter nach Süden verbreitet. | |
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Fassen wir rückblickend noch einmal zusammen. Zwischen Dt. und Nl. ist in der Neuzeit eine Sprachgrenze entstanden, deren Verlauf bis auf eine kleine Strecke im äußersten Süden im 19., zum Teil erst in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts stabilisiert worden ist. Sie ist durch die räumlich getrennte Entwicklung einer Diglossie der Mundart mit zwei verschiedenen Schriftsprachen zustandegekommen. Diese Sprachgrenzbildung ist auf drei verschiedenen Ebenen zu beobachten: Schriftsprache, Umgangssprache, Dialekt. Auf der ersten ist der Prozeß abgelaufen, auf der zweiten und dritten noch nicht. Die zweite und dritte Ebene stehen in einem eigenartigen Verhältnis zueinander: die dritte setzt die zweite voraus, doch ist die endgültige Konsequenz der zweiten, daß es einen Punkt auf der Zeitachse geben muß, an dem die dritte nicht mehr bestehen wird. Andererseits ist es denkbar und wahrscheinlich, daß zu dem Zeitpunkt die Grenze immer noch nicht bei jeder kontrastierenden Erscheinung beider Schriftsprachen in jeder Hinsicht eine Trennungslinie sein wird: Bestimmte regional gefärbte Phänomene der Umgangssprachen dürften dann zum Teil immer noch grenzüberschreitenden Charakter haben. Schließlich ist folgendes festzustellen: Das Aufkommen einer Diglossie ist zwar für das Entstehen der dt.-nl. Sprachscheide entscheidend gewesen; der Abschluß des Sprachgrenzbildungsprozesses ist aber, parallel zu den Ereignissen an der germanisch-romanischen oder der germanisch-slawischen Grenze, mit dem Schwund einer Diglossie identisch. | |
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De totstandkoming van de Nederlands-Duitse taalgrens (Samenvatting)Tussen het verspreidingsgebied van het Nederlands en dat van het Duits bestaat er op het ogenblik een scherpe grens. Zij valt samen met de grens tussen Nederland en de Bondsrepubliek Duitsland. In het Belgisch Land van Overmaas behoort de gemeente Voeren officiëel tot het Nederlandse taalgebied, het kanton Eupen tot het Duitse, met in beide administratieve eenheden faciliteiten voor Franstaligen. Daartussen heeft zich een wig gevormd met speciale taaltoestanden. Zij bestaat uit de gemeente Aubel, waar tot de volkstelling van 1920 het Nederlands officiële functies had, en het gebied rond Montzen en Welkenraat, waar het Duits in vergelijkbare functies werd gebruikt. In deze wig heeft zich het Frans als officiële taal over de Germaanse dialecten geschoven. Vroeger gingen de dialecten van het huidige Nederlandse en Duitse taalgebied geleidelijk in elkaar over. Op het ogenblik dat er nog geen Nederlandse en geen Duitse eenheidstaal bestond en dus ook geen scheiding tussen beide, kon er dus ook geen Nederlands-Duitse taalgrens bestaan. De vorming van deze eenheidstalen is een proces van eeuwen geweest. De volkstalen worden min of meer systematisch als schrijftalen (naast het Latijn) gebruikt sinds de late 13e eeuw, maar het duurt tot in de 16e eeuw voor hierin een duidelijke Nederlandse en Hoogduitse uniformering optreedt en zich in de schrijftaal een begin van een geografische grens aftekent. Haar fixering is het gevolg van politieke grenstrekkingen tussen 1548 (vorming van de Bourgondische kreits als voorloper van de Nederlanden) en de twintigste eeuw. In die periode worden beide talen ook als eenheidstalen verder gestandaardiseerd. In de grenszone hebben beide schrijftalen vaak met elkaar geconcurreerd, zodat er tijdelijk functieverdelingen tot stand kwamen, zoals b.v. het Nederlands als taal van kerk en school, het Duits als taal van de administratie in Oostfriesland en de graafschappen Bentheim en Lingen, het omgekeerde in het grootste deel van het Land van Overmaas. Deze diglossiegebieden zijn in de 19e eeuw verdwenen; de taalgrens heeft zich sedertdien helemaal aan de politieke grens aangepast. In de Oostenrijkse Nederlanden, die in 1795 bij Frankrijk werden ingelijfd, speelde ook het Frans een rol als officiële taal. Het deel van het Land van Overmaas dat in 1815 niet Pruisisch werd, kwam door zijn isolatie niet onder de invloed van de Vlaamse Beweging, zodat de verfransing er ongestoord kon doorgaan en na de twee wereldoorlogen telkens zelfs geïntensifieerd werd. | |
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De functies van het Nederlands en het Duits als eenheidstalen beperkten zich geleidelijk aan niet tot de administratie, de school en de kerk. Zij gingen langzamerhand ook als omgangstalen voor dagelijks gebruik in het gezin, op het werk, in het contact met medeburgers fungeren. In deze ontwikkeling bestaan er op het ogenblik grote regionale verschillen (er zijn streken waar bijna iedereen in contact met de dorpsgemeenschap nog dialect spreekt, en andere waar bijna niemand dat meer doet). De vervanging van het dialect door een als algemeen Nederlands of als algemeen Duits bedoelde omgangstaal maakt echter duidelijk vorderingen, en wel zo dat de grens tussen de twee officiële talen tegelijk steeds meer de grens tussen twee omgangstalen wordt. Op het ogenblik dat de dialecten verdwenen zullen zijn, zal ook het taalgrensvormingsproces voltooid zijn. Nochtans is er ook taalgrensvorming op het niveau van de dialecten zelf vast te stellen. Dialecten zijn geen statische grootheden, zij ondergaan voortdurend veranderingen. Tot in de vorige eeuw gebeurde dat vooral onder invloed van andere dialecten, waaraan een groter prestige werd toegekend, tegenwoordig echter hoofdzakelijk onder invloed van de standaardtaal, in ons gebied dus onder die van het Nederlands en het Duits. De vernederlandsing van de dialecten ten westen van de grens en de verduitsing van die ten oosten daarvan is vooral op het gebied van de woordenschat duidelijk, waarin door de ontwikkeling van een moderne techniek en een moderne maatschappij een ware omwenteling heeft plaatsgehad. Hierin bestaan nu honderden verschillen tussen het Nederlands en het Duits, die door de dialecten zijn overgenomen. Er zijn echter voldoende aanduidingen dat ook op het gebied van de grammatica (klankleer, vormleer, syntaxis) een steeds verder gaande vernederlandsing van de dialecten links en verduitsing van die rechts van de grens plaats heeft. Tot slot dient er op gewezen te worden dat ook op het gebied van de omgangstaal en dat van de dialecten de wig in het Land van Overmaas zich uitdiept. Er zijn daar steeds meer mensen die in de dagelijkse omgang Frans spreken, en ook de woordenschat van het dialect (en zelfs de grammatica) wordt er sterk door het Frans beïnvloed. |
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