Konrad Merz
aan
Menno ter Braak
Amsterdam, 15 juni 1935
Amsterdam Oost, Pythagorasstraat 21.
15.6.35.
Sehr geehrter Herr Dr. ter Braak
wie abgesprochen, übersende ich Ihnen den ersten Teil meines Buches. Es hat lange gedauert, ich habe es selbst abgetippt. Aber nun ist es soweit. Und nun kann ich nicht weiter.
Denn 1) habe ich nun alles aufgebraucht, und 2) will sich die ‘Fremdenpolizei’ hier mit mir nicht befreunden.
Alle paar Tage muß ich dorthin, ein Polizeistiefel schlägt mir auf den Schädel, und in der übernächsten Woche soll mir die Henkersmahlzeit hin gegeben werden. Ich bin ziemlich verzweifelt. Denn wenn ich hier weggehen muß, kann ich mir ruhig einen Sarg nach Maß anfertigen lassen.
Und dabei habe ich nun endlich mein Buch zu Ende zu bringen.
Wenn man mir fl. 100.- vorschiessen wollte, würde ich 2-3 Monate davon leben können. Und das Buch wäre in Ruhe geboren.
Das würde mich auch vor der Fremdenpolizei retten, der ich verfallen bin, weil ich nicht lügen kann.
Wenn es möglich sein sollte, durch Sie irgendeine freie Arbeit (Übersetzungen oder ähnliches (ich tue so ziemlich alles)) zu erhalten. Fl. 40.- monatlich sind mir hier genug. Auch dann wäre ich gerettet. Aber das ist wohl unmöglich.
Nun also muß ich mich am 25.ds.Ms. zur Vollstreckung des Todesurteils bei der Fremdenpolizei melden.
Können Sie mich, wollen Sie mich davor schützen?
Ich meine, wenn eine Autorität in Holland sich für mich einsetzt, dann würden diese Henkerseelen strammstehn. Ich weiß es nicht.
Aber Sie wissen sicher, was man hier am besten in solchen Fällen tut. Möglicherweise kennen Sie gar jemand ganz Vorgesetzes für diese Leute.
Ich wäre Ihnen unendlich dankbar.
Vielleicht wollen Sie mir auch recht bald mitteilen, was Sie von dem Buch halten. Ich warte hier, wie ein nacktes Kind im Schnee auf ein Hemd wartet.
Und grüsse Sie, hochachtungsvoll
Kurt Lehmann
Wenn es nötig sein sollte, würde ich selbstverständlich nach Haag kommen.
Vom ‘TageBuch’ habe ich übrigens noch nichts gehört.
Origineel: Den Haag, Literatuurmuseum