Samuel Lewin
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Menno ter Braak
Wenen, 11 augustus 1935
Wien, den 11. August 1935.
III. Seidlgasse 14.
Lieber Herr ter Braak,
Nun hat sich die Sache gewandelt, und ich bin derjenige, der sich wegen unpünktlichen Schreibens seinem Freund gegenüber schuldig fühlt. Ich habe von Ihnen bereits einen Brief vom 24.6. und einen zweiten vom 17.7. der mir allerdings erst zwei Wochen später zugestellt wurde, weil die Adresse unvollkommen war. Auch den Erhalt meines Manuskriptes habe ich Ihnen noch nicht bestätigt. Eigentlich könnte ich nun sagen: wie sind quitt. Aber das wäre nicht töricht, sondern könnte unsere Freundschaft, die solche Kleinigkeiten, wie Unpünktlichkeit in der Korrespondenz ausschliesst, verletzen. Es ist deshalb ganz überflüssig gewesen, dass Sie sich wegen Ihres langen Schweigens entschuldigten und mich baten, Sie, was das Briefeschreiben anbelangt, so zu nehemen, wie Sie sind. Gewiss nehme ich Sie so, wie Sie sind und möchte Sie gar nicht anders haben; denn wären Sie anders, wer weiss, ob zwischen uns diese Freundschaft, wie sie besteht, zu stande gekommen wäre. Ich bedaure nur, dass die Zeitung, für die Sie arbeiten, Ihre ganze Zeit in Anspruch nimmt, so dass für Sie persönlich wie auch für Ihre künstlerische und philosophische Arbeiten nichts mehr davon übrig bleibt. Ich freue mich sehr, dass Sie und Ihre Frau nicht an mich vergessen haben. Das beruht auf Gegenseitigkeit. Die schönste Erinnerung, die meine Frau und ich von Holland bewahren, ist Ihre Freundschaft.
Ich freue mich sehr, dass die Herausgabe meiner ‘Legende’ mit Zeichnungen von Jo Spier nun doch zu stand kommt. (Der Brief von Jo Spier ist sehr liebenswürdig). Also, Sie haben mit Ihren Bemühungen, für die ich Ihnen sehr, sehr dankbar bin, doch einen Erfolg. Es wäre sehr gut, wenn das Büchlein wirklich im Oktober erscheinen sollte.
Nun habe auch ich Ihnen eine gute Nachricht mitzuteilen: im Oktober erscheint mit einem Vorwort von Franz Werfel ein Roman von mir, ‘Bumerang’, der 1932/33 in einer deutschen Zeitschrift veröffentlich war. Die Bedingungen jedoch sind nicht besonders günstig, 12% des Bruttoverkaufs, halbjährig abzurechnen. Das wäre nicht das Schlimmste; doch der ‘Löwit-Verlag’, der das Buch herausgibt, ist als nicht reell bekannt. Hiezu kommt noch, dass der Verlag, falls der Roman in irgendeiner anderen Sprache gedruckt wird, 30% meines Honorars erhält, falls es durch seine Vermittlung geschah, andernfakks bekommt er 20%. Ich bin auf diese Bedingungen eingegangen aus dem einfachen Grund, damit sich erst einmal etwas rührt.Nun habe ich Ihnen noch etwas mitzuteilen, was für mich allerdings weniger erfreulich ind schwerwiegender ist: ich habe beschlossen, nach den U.S.A. zu gehen, erst allein, dann will ich meine Frau hinübernehmen. Es hat keine Zweck mehr, dass ich mich immer noch an Europa klammere. Das Stück Boden, das ich in Deutschland während meines knapp 15 jährigen Aufenthaltes errungen hatt, habe ich verloren, und einen neuen Platz in Europa kann ich nicht mehr ergattern. Hier wird der Boden für das Geistige immer geringer, besonders für einen, für den man überhaupt kein Verständnis hat. Gleichzeitig aber weiss ich, dass Amerika für das Geistige noch weniger zu haben als Europa. Und doch gehe ich dorthin. Es ist ein Verzweiflungsschritt, das ist mir klar. Aber was soll ich tun? Kein Land in Europa will mich aufnehmen, nicht einmal verhungern will mich ein Staat innerhalb seiner Grenzen lassen. In Oesterreich darf ich nur noch bis September bleieben, im besten Fall wird man mich noch ein bis zwei Monate länger lassen. Nur wenige schaffende Menschen hatten ein so trauriges Los wie ich, das eigentlich schon komisch und
vielleicht lächerlich ist. Denn ich schreibe in einer toten Sprache, und die wenigen Juden, die moderne Literatur lesen, geniessen sie in allen Sprachen der Welt, nur nicht in der jiddischen. Sie schätzen alle Schriftsteller, nur nicht die Ihren. Doch das Letztere ist nicht das wesentliche; denn das geshah immer und geschieht auch noch heute bei allen Völkern der Welt. Hat doch Christus gesagt, der Prophet gilt nicht in seinem Heimatlande. Ich aber schreibe über ein Volk, von dem die anderen Völker mit geringen Ausnahemen nichts hören und nichts wissen wollen. Auch das ist noch nicht alles. Meine geistige und psychische Natur macht mich in neinem geistigen Schaffen denen unverständlich, die sich für Literatur interessieren, und sogar Sie, mein Freund, der sich alle Mühe gibt, mich zu verstehen, und mich mehr als viele andere erfast - auch Sie haben mir schon zwei Mal angedeutet, dass Sie von meinem Talent nicht allzu viel halten. Sie schätzen mich als Mensch, was eigentlich sehr viel ist. Es ist mir auch klar, warum Sie mich als Künstler weniger anerkennen: weil das, was andere Schriftsteller, sogar die grössten, in sich haben (oder sogar nur daraus bestehen), nämlich den Literaten, in mir absolut nicht vorhanden ist. Für mich ist die stille Beschaulichkeit alles, und das bedeutet der heutigen Literatur nichts. Aber den Literaten und seine literarische Produktion hassen Sie ja selbst, und mit Recht. Und diese Ihre Eigenschaft, die auch meine ist, hat eigentlich unsere Freundschaft im Wesentlichen gefördert, ja, hat uns vielleicht zu Freunden gemacht. Und glauben Sie mir: Ihr Nichts-für-mich-erreiche-können, Ihr ‘dilettantisches Vertreten meiner Interessen’, weil Ihnen vor den Beziehungen und Redaktionen ekelt, ist mir viel lieber als wenn Sie ein anderer wären und für mich viel erreicht hätten. Ich leide zwar
materiell, vielleicht auch in einem gewissen Mass psychisch, weil der grösste Teil meines Schaffens in der Schublade liegen bleibt, doch ist mir Ihre und Ihrer Frau Freunschaft mehr als Materieller und literarischer Erfolg. Und ich nehme mir auch vor, vor meiner Abreise nach Amerika noch bei Ihnen zu sein, um Sie und Ihre Frau noch einmal zu sehen, was vielleicht das letzte Mal sein kann. Ich freue mich schon auf diese Wiedersehen.
Es ist schade, dass Herr Defresne mein Drama nicht verstanden hat. Ich bin überzeugt davon, hätte er das Stück aufgeführt, es wäre geistig und materiell ein Erfolg gewesen. Denn ‘Reb Moischel’ ist bühnenwirksam, obwohl das Drama eigentlich nicht für die Bühne geschrieben wurde. Doch ist die Ablehnung keine so besondere Enttäuschung für mich. Momentan interessiert uns beide, meine Frau und mich, Ihr ‘Politicus’. Meine Frau freut sich sehr, dass ihre Uebersetzung Sie zum grossen Teil befriedigte. Nun Möchte sie, das Sie ihr bald den umgearbeiteten Teil zuschicken, da sie die Uebersetzung gern abschliessen möchte.
Ich fühle mich sehr schuldig, dass ich Ihre ‘Pantserkrant’ bis jetzt noch nicht gelesen habe. Die Ursache ist aber die, dass ich holländisch nicht lesen kann, und meine Frau, die mir Ihr Buch vorlesen sollte, ist seit 3 Monaten mit der Uebersetzung meines ‘Bumerang’, der jetzt herauskommt, stark beschäftigt. Diesen Roman hatt ich nämlich vollständig umgearbeitet, so dass er neu übersetzt werden musste. Aber sowie Ihre Arbeit beebdet haben wird, wird sie mir Ihnen Tragikömedie, auf die wir schon sehr gespannt sind, vorlesen. Dann wird es sich auch zeigen, wie weit Sie den Namen meiner Frau missbraucht haben......
Für die drei Bildchen, die uns Spass machen, vielen Dank.
Mit den herzlichsten Grüssen auch von meiner Frau
Ihr S. Lewin
Origineel: Den Haag, Lettterkundig Museum