Klassieke navolging.
Dieser glückliche Ausgang, welcher das Laster bestraft, die Tugend angemessen belohnt, gehört ganz wesentlich zur Charakteristik des griechischen Romans. So wenig wie irgend einer seiner Nachfolger entbindet sich Antonius Diogenes von der Regel einer wohlgefälligen Auflösung aller kaum ernstlich gemeinten Dissonanzen. Ja, Photius hebt mit besonderen Lobe hervor, dass aus den wunderlichen Phantasien des Antonius ‘zwei sehr nützliche Erkenntnisse zu erbenten’ seien, die nämlich, dass der Frevler am Ende stets bestraft, die Unschuldigen, mögen sie auch den grössten Gefahren preisgegeben erscheinen, wider Erwarten znletzt immer gerettet würden. Diese moralische Vergeltung findet er besonders an dem Schicksal des Keryllns und des Paapis verdeutlicht.
Hier hätten wir denn also jene ‘poetische Gerechtigkeit’, die manche Aesthetiker sogar dem Homer, Sophokles und Shakespeare andemonstrirt haben, in ihrer ganzen Herrlichkeit vor uns. Es mag sein, dass dieses flache Princip gerecht genannt werden darf: poetisch ist es sicherlich nicht, schon darum, weil es so gänzlich unwirklich ist. Die Geschicke der Menschen verlaufen nicht nach diesem Princip: thäten sie es, wozu bedürfte es der stets erneuten Versuche, durch eine religiöse Ausdeutung und Anleitung einen causalen Zusammenhang zwischen Tugend und Glück herzustellen, den ein Unbelehrter in dieser Welt zu finden nicht im Stande ist, und den auch der Gläubige zuletzt nur in einer ewig ‘jenseits’ gelegenen Welt der reinsten Gerechtigkeit zu finden vermag.
Erwin Rhode, Der Griechische Roman und seine Vorläufer.