Hans Richter
Film
Die Tendenz der bildenden Kunst unserer Zeit ist Sachlichkeit. Das will sagen, klare unsentimentale Verwendung der Kunstmittel, auf eine Weise, die dem Erkenntnisniveau der Zeit, in der wir leben, entspricht. Das ist die objektive Aufgabe der Kunst: Organisation der Mittel, Ökonomie in der Verwendung derselben. So kann eine Formsprache entstehen, die ohne den Ballast längst erstarrter Konventionen imstande ist, den neuen Gehalt unseres Lebens und unserer Kultur (gegenüber der Vergangenheit) eindeutig in der Sphäre des Psychischen auszudrücken.
Diese Aufgabe ist prinzipiell gelöst durch die theoretischen Arbeiten des Malers Eggeling. - Die übersichtliche Organisation der Formsprachmittel ermöglicht es, diese Mittel nicht nur für den Aufbau eines Bildes: eines statischen Werkes zu verwenden, sondern dieselben auch in einer der bildenden Kunst bisher nicht zur Verfügung stehenden Dimensionen, der Zeit, anzuwenden. Die Bewegung in der bildenden Kunst zum Ausdruck zu bringen, ist ein Problem, das in unserm Jahrhundert immer wieder auftauchte (siehe die italienischen Futuristen). Die Voraussetzungen für eine Lösung, d.h. eine wirklich praktische Lösung des Bewegungsproblems fehlten bisher, daher blieben Versuche dieser Art doch immer im Rahmen dessen, was eigentlich zerstört werden sollte: des Statischen.
Die Arbeiten Hans Richters erfüllen diese Voraussetzungen und werden in einer neuen Sphäre zur Sprache, in der uns neue Beziehungen zu der Welt außer uns und in uns offenbart werden. Es sind Gestaltungen des Geistigen. Die Bewegungskunst geht nicht von der Bewegung, der äußeren mechanischen Welt, sondern von dem Innern einer Erkenntnis aus. Sie hat eine neue Basis der Veranschaulichung gefunden und unter Benutzung eines neuen Mittels, des Films, das Bewegungsproblem auf die radikalste Weise gelöst. Mit der Schöpfung neuer Ausdrucksmittel wurden die Grundlagen eines Generalbasses der Malerei geschaffen.
Die abgebildeten ZeichnungenGa naar voetnoot1 entstammen der Komposition Schwer-Leicht, die aus drei Sätzen besteht. Die Abbildungen stellen das Prinzip der Entwicklung des ersten Satzes dar. Das Prinzip der Komposition ist das Spiel und Gegenspiel von Figuren, deren Haupteigenschaft die Schwere oder die Leichte ist. Die Merkmale, die diesen Figuren außerdem eigentümlich sind, wie groß und klein, geschlossen und aufgelöst, Einzahl und zahlreich, bleiben relativ untergeordnet. Während die linke, großflächige Figur (Einzahl) im Verlauf der Komposition an Ausdehnung und Geschlossenheit zunimmt, strebt die rechte Figurengruppe nach Auflösung und Vielfältigkeit. Der zeitliche Verlauf zwischen diesen abgebildeten Zeichnungen (es sind im Film eine große Anzahl neuer Zeichnungen) verwirklicht die einzelnen Phasen dieses Gegenspiels rhythmisch.
Die Bewegung der Form und der Farbe tritt hier als ein neuer Wert auf, der, längst erstrebt, den Horizont unserer Psyche zu erweitern verspricht.
Berlin 1922.