De Stijl 2 1921-1932
(1968)– [tijdschrift] Stijl, De– Auteursrechtelijk beschermd
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noch so sinnlos sein oder vernünftig bleiben, die Hochachtung vor der allgemeinen Frage, die ein Bedürfnis vorstellt, lässt sogar den Dadaisten antworten; der Dadaist wird ernsthaft und dies ist lustig, traurig wäre es nur, wenn andere darüber zum Ernst erstarrten. Nun wird keine Frage häufiger an den Dadaisten gestellt, als diese: Was ist Dada, was will Dada, wer hat Dada erfunden? Hier beginnt bereits der Tiefsinn, der das Leben so angenehm macht. Wir wollen auf den dritten Teil der Frage zuerst antworten, um, dem holprigen Weg über das Verstehen nachrüttelnd, doch etwas sichtbar zu machen, einen Anfang und wäre es nur der Anfang von Dada. Das Unerklärliche daran ist nun dies, dass der Dadaismus allgemein flagrant war und dass ihn niemand erfinden konnte. Eine Namengebung ist keine Erfindung, es bliebe für den Dadaismus gleichgültig, ob er Dada oder Bebe, Sisi oder Ollolo genannt worden wäre, die Affäre bliebe die Gleiche. Und diese Affäre drängte sich ganz von selbst, man wäre versucht zu sagen ‘intuitiv’ in irgend einem gleichgültigen Jahr 1916 in der sehr belanglosen Schweizerstadt Zurich einigen hellen Köpfen auf, jungen Männern mit guten Ohren und Nasen, klaren Augen und Mündern und, sofern man in diesen Organe etwas Bezeichnendes erblicken will, waren Ball Huelsenbeck und Tzara mehr als andere prädestiniert, den Dadaismus aus etwas Vagem, allgemein schon lange vorhandenem zu einer fass-, greif- und sichtbaren Anschauung zu bringen, übermütig und elastisch waren sie dazu. Sie waren rapide Gehirne, aber wie es so geht, lange Zeit hindurch hätten auch diese drei Créatoren des Dada nichts zu sagen vermocht, wo Rhodus sei und wie man tanze. Noch im Jahre 1918 in Berlin in einem schon weit vorgeschrittenen Stadium gab es bei uns keine präcise Bewusstheit über die Absichten von Dada in uns sebst. Aus dieser Tatsache schliessen nun die Offiziere der Heilsbildungsarmee und die überhaupt ernstere Menschheit auf alles unmögliche, vor allem unsere Unzulänglichkeit; leider kommen sie nie zum nächtsliegenden Schluss, den ihrer traurigen Behaftetheit mit hergebrachten Werturteilen und moralischen Kategorien. Man meint uns zu erledigen, indem man ons vorhält: ihr wollt kämpfen oder zu mindest werben. Aber ihr seid euch über Dada oder euch selbst so unklar, dass wir ernsthaften Menschen den Zweck nicht einsehen können und uns abgestossen fühlen. Hierauf haben wir nur Worte und Gesten des Beifalls. Dada ist die Faust aufs Auge und der Tritt in den verlängerten Rücken gerade jener sittsamen Kultur-anteilnehmer; die teilweise Unerklärbarkeit des Dadaismus ist erfrischend für uns wie die wirkliche Unerklärbarkeit der Welt - möge man nun die geistige Posaune Tao, Brahm, Om, Gott, Kraft, Geist, Indifferenz oder anders nennen - es sind immer dieselben Backen, die man dabei aufbläst. Dada wirbt nicht. Dada ist ein Wirbel, der aus seiner eigenen Peripherie geboren, hervorgegangen aus einem allgemeinen Daseinszustand, die Menschen in sich hineinreisst, sie umherschleudert, durcheinanderrüttelt, sie entweder auf die eigenen vier Beine stellt - oder liegen lässt. Dada will endlich keine intellektuelle Erfassungsmöglichkeit als Austausch gegen milde Transpirationsversuche bieten, aus Bewusstsein seiner fortwährenden Beweglichkeit; es sieht, schrecklich zu sagen, für sich selbst morgen anders aus als es heute ist und der Dadaist sieht von hier aus auf die Leichenbitter der abendländischen Kultur voll Selbstironie und agiert in und mit einer Welt, die unendlich mit sich selbst identisch bleibt, in der es Phantasmen, Realitäten, Absolutes, Dimension, Zahl, Zeit und noch etwas mehr oder auch dies alles gar nicht gibt; es nimmt sich und diese Welt auf sich ohne Fatalismus, als seine eigene lächerliche Ernsthaftigkeit. Der Dadaist sieht in der ihm vorgeworfenen Dummheit keine Schande, er kennt zu genau die Gründe und Hintergründe derer, die ihm Unfähigkeit, Bierulk, Unfug oder Bluff vorwerfen, er hat genugend Dégout vor den Heiligtümern der grossen Männer unserer, ach so ruhmbedeckten Kultur. Der Dadaist kennt alle Positiva und alle Negativa dieser Kultur - und schliesslich hat er einmal Lust, ihr etwas weniger ironisch hinter die Kulissen zu leuchten. Rund | |
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um Dada stehen die Bratenwender der geistigen Praktiken und holen auf kleinen Stäbchen feurige Fünkchen aus einem grossen schwarzen Nichts, um das Strohfeuer ihrer Gehirne damit anzufachen. Wir sehen die exakte Wissenschaft und die Philosophie sich mit der Technik und der Theosophie balgen und hören, dass alles in Progression begriffen sei, aber der Spektakel scheint uns uralt und total verschimmelt zu sein. Ob Gott oder Tao, Identität und Zahl, Individuum und Ding an sich - für Dada sind dies noch nicht einmal exakt gestellte fragen, denn Dada ist alles dies zugleich und als ebenso sicher nicht existent bewusst. Was wollen diese hölzernen Stirnen, die noch nicht einmal zu Pfeifenköpfen taugen? Ist es nicht überaus müssig, die Frage nach der Dimensionalität oder Adimensionalität z. B. der Zahl überhaupt zu stellen? Denn, so alogisch dies ehrenwerten Gehirnen erscheinen mag, ergibt die Sachlage, die ein Zahlgedanke vorstellt, unweigerliche Relationen zur Lebensform unserer Welt als einer dimensionalen Welt. Gibt es überhaupt Dimension, so können wir uns nichts, auch nichts bloss angenommenes oder gedachtes adimensional vorstellen. Soll man über die unendliche Individualität oder die endliche Identität in Wut geraten? Wenn die Identität durch mathematische Kurven, durch Zahlwesen, oder dergl. dargestellt oder erfüllt wird, ist dann diese Identität, die sich ja auch auf Baum und Strauch, auf Tisch und Bett erstreckt, endlich? Oder nennen wir sie nicht doch lieber unendlich? - die in sich zweispältige Unendlichkeit der endlichen Welt. Dada klopft den Kant's auf die Finger und gibt ihnen als Strafaufgabe die Frage zu lösen, die sie schon beantwortet glauben in ihrem ekelhaften Wissendünkel: An die Stelle des apriorischen ego oder der Individualität, des Nihil neutrale oder der Noumen, müsste dort nicht Identität des gesamten Seins, Zahl, Zeit, Raum, Ruhe, Bewegung, kurz müsste in diesem Nichts aller Differenz nicht alles enthalten sein? Dada lacht über das Ding an sich, und es weint nicht über das Hopsassa der Widerkehr alles gleichen. Dada bewegt sich in der Welt! Ihr feierlichen Griesgräme aber wollt doch irgend etwas positives über Dada wissen, so sagt ihr: Nun, das integrierendste Moment des Dadaismus ist sein Streben vom kosmisch-metaphysisch gefassten Individuum fort zur Identität der Welt und der unsichtbaren Gesetze. Das Gesetz der Welt liegt in ihrer begrenzten, errechenbaren Unendlichkeit (wie dies in der Mathematik vielleicht zu ermöglichen ist) der Dadaismus ist seine eigene Gegenläufigkeit, er will fort und fort Bewegung, er sieht die Ruhe nur in der Bewegung und er ist eigensinnigerweise einmal logisch und darum amusikalisch, apsychologisch, aindividuell. Er ist die einzige mögliche erreichbare Wirklichkeit. Er führt die absolute Freiheit des Individuums zurück in ihre zwangsläufigen Relationen zur Welt, zum Mass, zur Identität, Dada übergeht mit Gelächter das freie intelligible Ich und stellt sich wieder primitiv zur Welt, was etwas in der Verwendung von reinen Lauten, Geräuschnachahmungen, im direkten Anwenden gegebenen Materials wie Holz, Eisen, Glas, Stoff, Papier zum Ausdruck kommt. Das ist kein Realismus, auch keine Abstraktion, sondern entspringt aus dem Streben nach Identität, erhält in individuellen Akt der Création gesetz- und zahlenmässige Funktion. Der Dadaist als Mensch, der nur zu gut die Unmöglichkeit des apriorischen, undlichen Ich begriffen hat, balanziert die Gegebenheiten dieser Welt, die scheinbar aus dem Nihil explodiert, und zu ihrer eigenen Belustigung in dieses Nihil zurückstürzt, ganz unbekümmert um irgendwelche ernsthaften Theoreme von transzendent-kosmischer oder rational-Veristischer Prägung. Dem Dadaisten ist das Leben schlechtweg eine Unerklärbarkeit, die vielleicht oder sicher in der Identität von Raum, Zahl und sofort besteht, die er aber immerwährend dynamisch (nicht musikalisch) auflöst. Der Dadaismus ist gleich weit entfernt von Aegypten, von Hellas, von der Renaissance, von der Gothik und von der Realistik. Ihre Gesetze sind ihm zu unwirklich, oder auch zu unwahrscheinlich. Ob Wirklichkeit oder Wahrscheinlichkeit - der Dadaist wird in der Praxis z. B. einer aritmetischen Gegebenheit nun zwar | |
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stets vier mit vier benennen und identifizieren, nicht nur aus real-ökonomischen Erinnerungen heraus, nein, ihm ist die Zahl nicht nur positiv, sondern ebensogut negativ bewusst und wertvoll; er wird an die Zahlentatsache vier auch keine successive Kette oder Reihe anhängen, wie man etwa ein Berloque trägt. Sein Abstand von Denker oder Philosophen liegt hier, er gerät über die wechselnden Bedeutung von Werten in derselben Sekunde nicht in Verzweiflung; er würde sonst bewegungslos und diese dynamische Statik ist ihm das Lebenselement. Dada wertet nicht mehr nuanciert rot gegen grün, es spielt nicht mit der Miene der Erziehers gut gegen böse aus, Dada kennt das Leben prinzipieller und lässt es doppelt, in sich parallel gelten! Vive Dada! Es ist die einzige Lebensanschauung, die dem westeuropäischen Menschen entspricht, weil sie die Identität des gesamten Seins mit all seinen widersprüchen durchführt und dahinter, hinter einem Schleier von Lachen und Ironie noch das Unerlärbare, dessen man nicht Herr werden kann, ahnen lässt. Dada ist weit mehr als das Karma oder die Willensfreiheit. Dada ist nicht so platt unverschämt wie die ernstgemeinten System zur ad-actalegung unserer Welt der disharmonischen Harmonie. An dieser Stelle nun werden uns die tapferen Schildbürger der Psychobanalyse zu fangen versuchen. Sie werden sanft und überlegen lächelnd erklären: Dada sei infantil; Dada sei psychobanal genug, um von ihnen erklärt und aufgelöst zu werden. Wir werden dann dieser Friseurgehilfen am verfilzten Lockenkopf der natürlichen Gesundheit etwa sagen, dass wir auch ihre Bäuche zum purgieren bringen können. Dada ist nicht das unerfahrene Kind, das gegen die Bedrückung der Familie oder des Vaters protestiert, wenn es innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft diese Geselschaft ablehnt. Dada ist mehr als das protesthafte Kind, es untersucht nicht kritisch oder psychologisierend den Topf, auf den man es nicht setzen kann, es kennt nicht mehr die Verantwortung für Unklarheiten, die in Hass oder Ressentiment oder der üblen Laune ihr einziges Ventil findet, die Realität entschuldet A. ARCHIPENKO
‘FEMME DEBOUT’. | |
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Dada, das Milieu, die Umstände hängen ihm zwar teils an, sodass es sie ablehnt aus Uebermut und Ironie, aber doch andererseits eben seine Ironie sich aus dem Tatsächlichen herholt. Der Dadaismus ist eine taktische Einstellung, die Standpunkte um des in ihn sich zeigenden unlebendigen willen ablehnt und darum die Welt nimmt wie sie ist. Dem Prinzip der Beweglichkeit ist aus Gründen des Gegensatzes, der notwendigen Widerstande auch Lethargie plausibel. Der Dadaist erleidet nicht die Welt kindlich; weder Gott, noch ein Vater oder ein Lehrer können ihn züchtigen. Dada ist praktische Selbstentgiftung, ein moderner europäischer Zustand, antiöstlich, antiorientalisch, unmagisch. Dada ist die Keimblase des neuen Typus Mensch: jenseits des moralischen christlichemittelalterlichen Sündenbalastes ist Dada die Negation des bisherigen Sinnes des Lebens, oder einer Kultur, die nicht tragisch, sondern vermodert war. Dada ist die lachende Gleichmütigkeit, die mit dem eigenen Leben Erhängen spielt, ohne Mitverantwortung an dem europäischen Schwindel. Dada hat eine Tendenz zur Untragik gegenüber einer maschinell ablaufenden sogenannten Freiheit, auf die es pfeift. Jedenfalls: Dada ist mehr als Dada! 1921. |
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