De Stijl 1 1917-1920
(1968)– [tijdschrift] Stijl, De– Auteursrechtelijk beschermdSehr geehrter Herr van Doesburg!Da Sie das Erste Manifest Ihrer Zeitschrift (Novemberheft 1918) ausser auf Hollaendisch, Franzoesisch, Englisch, gleichfalls auf Deutsch haben erscheinen lassen, wuenschen Sie offenkundig, dass dieses Manifest auch als an deutsche Kuenstler gerichtet gelten soll. Und Sie wuenschen, so nehme ich an, | |
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dass die deutschen Kuenstler der neuen Generation sich erstens mit dem Inhalte Ihres Manifestes auseinandersetzen sollen und zweitens mit Ihrer Handlung als solcher. In der Tat hat Ihr Schritt eine doppelte Bedeutung und Wichtigkeit. Mit diesem Manifest tritt Holland, wie es mir scheint, zum ersten Male ein in die internationale Zwiesprache ueber das Wesen und das Ziel des neuen Zeitbewusstseins, eine Zwiesprache, die schon zehn Jahre vor dem Kriege mit grosser Lebendigkeit ueber die Landesgrenzen hinweg zwischen Russen, Deutschen, Franzosen, Intalienern und Englaendern gefuehrt wurde. Damals erschienen zu Rom, Paris, Berlin und ueberall jene Kampfschriften und Wochenblaetter, worin durch theoretische Abhandlungen, durch Spott und Ermahnungen getrachtet wurde, dem neuen Wollen der Maler, Musiker, Dichter beim Publikum Eingang zu verschaffen; und alle diese Schriften aus den verschiedenen Laendern und in den verschiedenen Sprachen waren getragen von einem garnicht verschiedenen, sondern von einem merkwuerdig uebereinstimmenden und freundschaftlichen Geiste. Die neuen schaffenden Kuenstler sowohl, als auch die Kunstrichter in den grossen Laendern standen infolgedessen fortdauernd in einem sehr fruchtbaren geistigen Zusammenhange. Aber innerhalb dieses Konzerts ward eine eigentlich hollaendische Stimme oder Gruppe nicht vernehmbar, was nicht, verstehen Sie mich recht, etwa unter dem nationalistischen Gesichtspunkte wie ein Mangel beruehrte, sondern ganz allgemein die Ansicht in Europa foerderte, als sei der grosse Strom des neuen Werdens nach Holland einfach noch nicht hingedrungen, als verhalte sich Holland abwartend und als beruhige es sich bei seinen Verdiensten, die es um die gewesene Moderne des Jahrhundertanfangs (Impressionismus) gehabt hat. Der Eingeweihte wusste freilich, dass mindestens unter den Malern Hollands, dem Geburtslande Van Goghs, der neue Stilgedanke Wurzel geschlagen und dass das Koennen dieser neuen hollaendischen Maler ein Niveau erreicht hatte, welches nicht niedriger war als in den anderen europaeischen Kunstzentren. Aber es fehlte noch, wie gesagt, das theoretische Bekenntnis seitens hollaendischer Schriftsteller, die mit ihrer ganzen Person (gleich Apollinaire, Kandinski, Th. Dāubler, Marinetti) fuer das neue Zeitbewusstsein und nur fuer dieses eintraten. Schon deswegen also duenkt mich das Erscheinen des hollaendischen ‘Stijl’ und das Erscheinen Ihres November-Manifestes von Bedeutsamkeit; hier vollzieht sich, aeusseilich fassbar und anschaulich, der Anschluss der hollaendischen neuen Geistigkeit an das neue Zeitbewusstsein Europas. Ueber die Ausdeutung, welche Sie der neuen Bewegung in Ihrem Manifeste geben, also ueber den Programminhalt Ihres Manifestes, moechte ich mir gestatten, mich ein andermal aeussern zu duerfen. Denn, da die in dem Manifeste angeruehrten Probleme fuer mindestens das ganze naechste Lebensalter Zentralprobleme des Denkens, Erlebens und Eroertens sein werden, scheint es mir, dass man nicht gerade voller Hast und Eile gleich nach letzten Ergebnissen und Festigkeiten zu suchen braucht; gegenwaertig erscheint mir Ihr Manifest wichtiger, einfach weil es da ist, weil es von Holland ausgeht, weil es eine Handlung bedeutet, die nicht ohne Folgen bleiben soll. Sie selbst wuenschen Folgen und darum veroeffentlichen Sie Ihre Kundgebung in den vier Sprachen. Durch diese Internationalitaet Ihres Auftretens von vornherein haben Sie sich, nach meinem Dafuerhalten, ein noch grosseres Verdienst erworben als durch die fuer Holland oertlich wichtige Sachlichkeit in der Formuliering des Programmes. Sie erfuellen damit eine Mission, die heute, wo eine Verstaendiging ueber kulturelle Fragen zwischen den Voelkern so erschwert ist, fast naturgesetzlich auf dem neutralgebliebenen Holland liegt. Neben der Schweiz bildet Ihre Heimat, so scheint es mir, den gegebenen geistigen Mittler zwischen den neuen Kuenstler-, Dichter- und Denkergruppen von hueben und drueben. Ehe eine unumwundene und offenherzige Annaeherung zwischen den geistigen Vertretern der feindlichen Staaten erfolgen wird, wieviele Jahre muessen darueber noch hingehen, wenn nicht die Neutralen sich hilfreich ins Mittel legen wollen! Zu dieser Annaeherung bietet Ihr Manifest eine Moeglichkeit; darum, ich wiederhole es, ist Ihre Handlungsweise als solche so sehr des Dankes aller wuerdig. Ich hoffe, dass Sie auf dem eingeschlagenen Wege weiter fortschreiten werden und dass Ihre Zeitschrift eine internationale Versammlungsstaette aller derjenigen bilden wird, die mit den Worten von Georges Duhamel danach trachten, de poursuivre avec quelques hommes de bonne volonté un entretien affectueux. Empfangen Sie meine verbindlichsten Gruesse.
Den Haag, 24 Mai 1919. FRIEDRICH MARKUS HUEBNER. | |
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Sehr geehrter Herr Huebner!Bei der Begründung des ‘Stijl’ hat die Absicht eine internationale geistige Gemeinschaft zu schaffen, stillschweigend vorangeleuchtet. Wir zielten hierauf in der Einleitung, worin der Ton gelegt war auf: ‘die gemeinschaftliche Verwesentlichung des neuen bildenden Kunstbewusstseins’ und auf ‘das In-sichvereinigen der heutigen Denkrichtungen, welche der neuen Bildung gelten und die zwar im Wesen gleich, sich doch unabhängig von einander entwickelt haben (S 1, Jahrgang 1)’. Durch das Anknüpfen von Verbindungen mit den ausländischen Kunstmittelpunkten und durch die Einladung ausländischer Persönlichkeiten zur Mitarbeit, stellten wir uns unmittelbar auf einen internationalen Standpunkt. Wenn die Gewichtigkeit unserer Absichten erst heute nach den ausländischen Kunstzentren durchdringt, ist die Schuld daran nicht uns zuzuschicken, sondern an die apriori feindliche Haltung der offiziellen äusserst konservativen holländischen Presse, welche die künstlerische und kulturelle Bedeutsamkeit unseres Strebens von Anfang an unterschätzte oder durch vollkommenes Stillschweigen trachtete zu ersticken. Ich nenne in diesem Zusammenhange die offizielle Kunst-journalistik der Herren Plasschaert, Borel, J. de Meester, Van Eeden, Querido, Just Havelaar, Spoor, Veth & Co., kurzum alle, zu denen die ersten Offenbarungen eines neuen Zeitbewusstseins noch nicht durchgedrungen ist. Die Stellung Hollands während des Kriegs setzte einige, von einem neuen Weltwillen ertüllte holländische Künstler in die günstige Gelegenheit - trotz des Abbrechens der Fühlungnahme mit der ausländischen Geistigkeit - von dem seit etwa zehn Jahren eroberten neuen Standpunkt aus, folgerecht weiter zu schreiten, um vornehmlich in der Malerei und Baukunst, sowohl praktisch als theoretisch, die ersten Grundlagen zu legen für eine neue, absolute Kunstgestaltung. Will diese wirklich die Bedeutung eines groszen Gemeinschaftsstils erlangen, so werden sich sämtliche schaffenden Künstler Europas unter Vernichtung aller kurzsichtigen nationalen Vorurteile, einander in einer einzigen Geisteshaltung zu begegnen haben. Hierzu ist ein Austausch von Gedanken und Werken notwendig. Um dies zu erreichen, veröffentlichten wir unser bewusstes und mathematisch-aufgestelltes Manifest No. 1. Der Wirkungserfolg desselben hat uns nicht enttäuscht. Aus den modernen Kunstmittelpunkten von Frankreich, Italien, Deutschland, Belgien, empfingen wir begeisterte Beifallserklärungen, aus allen denen das gleiche Vertrauen in die Berufung des ‘Stijl’ sprach, nämlich als Bewegung wie als Organ beizutragen zu Verwirklichung des groszen Verbruderungsgedanken der Völker mittels der allgemeinen Sprache der Kunst. Es versteht sich von selbst, dasz wir nun, wo die Gewichtigkeit unseres Strebens von den wahrhaft geistigen, schaffenden Naturen Europas erkannt ist, dasz wir nun nicht mehr am gemeinsamen Erreichen der künftigen Form dieses groszen Weltgedankens - dem eines monumentalen Gesamtstils - zu zweifeln brauchen. Mit freundlichem Grusz. THEO VAN DOESBURG. |
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