[8]
nicht übereinstimmt, dort ergibt sich die feinerem Empfinden unerträgliche Dissonanz, die sich ergäbe, wenn in ein und demselben Zimmer ein Klavier eine Melodie spielte und eine Violine eine andre. Es gingen beide Melodien verloren, es würden beide übertönt von einem Lärm, der das Ohr so martert, wie der sichtbare Lärm der unrhythmischen Film bewegung das Auge martert. Das Bild in gewöhnlichem Sinne und das Filmbild unterscheiden sich in der Wiedergabe der Bewegung. Der Film kann sie naturgetreu, verlangsamt oder verschnellert darstellen, das Bild muss sie in einem ergiebigen Augenblick, in einer ausdrucksvollen Phase festhalten. Wollte man diesen Dingen weiter nachforschen, so käme man auf die Unterscheidungen, die Lessing im ‘Laokoon’ zwischen Poesie und bildender Kunst vorgenommen. Die Dichtung gibt die Bewegung, den Vorgang im natürlichen oder zu künstlerischen Zwecken veränderten Ablauf wieder, die bildende Kunst muss den ausdrucksvollsten Moment der Bewegung suchen, der meist am Anfang oder Ende liegt. Nur hier wird der Eindruck eines bewegten Vorganges erweckt, die Mitte könnte den Eindruck eines Zustandes erwecken. Der Film nun verbindet hier die Eigenschaften des Bildes mit denen der Dichtung, er kann das Nebeneinander ebenso wiedergeben wie das Nacheinander. Wenn man von der Reduktion der dreidimensienalen Körper in die zweidimensionale Fläche absieht, kann er Körper auch körperlich, räumlich darstellen, wie die bildende Kunst; und er ist der undankbarsten Aufgabe aller Dichtung enthoben: der Beschreibung. Das Filmbild, zwischen bildender Kunst und Dichtung stehend, muss also anders komponiert sein als ein Gemälde, als eine Plastik, es darf gar nicht die ausdrucksvollsten Augenblicke des Geschehens herauszuheben suchen, weil es dann die Kunstmittel einer bewegungslosen künstlerischen
Ausdrucksart auf eine bewegte übertrüge, also sich selber widerspräche und in höchstem Masse stillos wirkte.
Die Aufgabe des Suchens nach dem dankbarsten Punkt der Bewegung, die dem Filmregisseur erspart bleibt, wird durch die viel schwierigere ersetzt, die Uebereinstimmung von Bildrhythmus und Bewegungsrhythmus zu finden. Der Maler hat die Bewegung gewissermassen in einem unbewachten Augenblick überrascht, gefesselt und stellt sie nun als unbewegliche Gefangene in seine Bildkomposition hinein, passt die Bewegung dem Rhythmus des Bildes an oder umgekehrt. Die Bewegung aber, die der Filmregisseur als lebendige festhalten soll, hatt ihrer eigenen, nicht gefrorenen Rhythmus, und widerstrebt erstens dem des wenig oder gar nicht bewegten Hintergrundes, widerstrebt zweitens, da sie dreidimensional ist, der Reduktion auf die zweidimensionale Ausdehnung der Filmleinwand. Ueber dieses Problem stolpern die meisten Filmregisseure. Sie übersehen, dass der Rhythmus einer körperlichen und einer flächenhaften Bewegung ganz verschieden ist. Wie schwer ist es nun, Harmonie in ein Bild zu bringen, in dem eine Bewegung im Raum, von links hinten nach rechts vorn, vor einem flächigen Hintergrund zu geschehen hat, dessen Faltenwurf und Schattenspiel wieder ihren eigenen Rhythmus haben! Der Grossteil der Regisseure hilft sich in solchen Fällen (wenn das Stilwidrige dieser verschiedenen Bildrhythmen überhaupt bewusst wird) mit der dekorativen, flachen Geste, passt die Bewegung, also das Wesentliche, dem Hintergrund, dem Unwichtigen, an. Die Bildwirkung der Filme Fritz Langs, des unfilmischesten aller Filmregisseure, beruht auf diesem Ausweichen vor dem spezifisch filmischen Problem. Dieses zu lösen, gefühlsmässig oder verstandesmässig, bleibt den ganz grossen Regisseuren vorbehalten. Das deutlichste Beispiel für eine glückliche, überraschende, ja geniale Lösung lieferte Murnau im ‘Tartuffe’-Film. Dort soll in einer Szene eine Frau vom Aufnahmeapparat aus
zu einer Tür gehen, die im Hintergrund des Bildes liegt, und diese Tür öffnen. Hätte Murnau, wie das ein Durchschnittsregisseur täte, die Frau einfach nach hinten gehen lassen und das Bild in der normalen Höhe aufgenommen, so hätte er in einem unbewegten Raum eine Bewegung gehabt, die durch die perspektivische Verkleinerung der Gestalt ihren bestimmten Rhythmus erhalten hätte. Dem Rhythmus der gleichmässigen Verkleinerung der bewegten Figur wäre der Rhythmus des Hintergrundes, der Rhythmus der Ruhe, der Unbeweglichkeit, gegenübergestanden. Um diese Unstimmigkeit, diesen Widerspruch, den nur der künstlerisch sehr fein empfindende Mensch spürt, zu überbrücken, nahm Murnau das Bild nicht aus der normalen Höhe auf, sondern ging mit dem Apparat bis zur Fläche des Fussbodens hinunter. Dadurch, dass er den Kurbelkasten ganz tief stellte, erreichte er, dass die Dielen des Bodens sich in scharfer perspektivischer Verkürzung darboten, also auch den Rhythmus des sich nach hinten Verkleinernden, sich nach hinten Bewegenden bekamen - und mit dem der bewegten Figur zusammenfielen. Rhythmus des Raumes und Rhythmus der Bewegung waren verschmolzen zu einem harmonischen Filmbild.
Wenig erkannt, wenig beachtet, gar nicht erforscht, harren diese Probleme nach endgültiger Lösung. Der nicht aus künstlerischem Streben, sondern lediglich des Verdienstes halber hastig